piwik no script img

ausgehen & rumstehenDas Brusthaar gelockt und das Maschinengewehr im Bikini

Schöne Menschen wurden in den „Monarch“ gespült, wahrscheinlich von der Berlinale. Menschen mit weiten Ausschnitten waren dabei, Männer wie Frauen, und wir, die wir bis zum Hals zugeknöpft waren, fragten uns, was diese Offenherzigkeit denn bedeuten könnte.

Ist es einfach nur Mode oder ein Code für eine bestimmte Schicht? Der Mann mit dem Ausschnitt, einem weiten V-Ausschnitt ohne Unterhemd, dafür mit leicht gelockten Brusthaaren, wirkte ein wenig, als ob die ausgestellte Sexyness, zu der auch Mitte-Haarschnitt und Kleiderwahl passte, auf Geld hinweisen oder von der leicht zu groß geratenen Nase ablenken sollte. Es war fast schade, dass er nicht der Freund von der Frau mit dem Ausschnitt war. Diese betrieb ihren Ausschnitt aber wohl aus anderen Gründen. Denn eigentlich wirkte sie charmant. Sie lächelte viel. Besonders lächelte sie in die Gesichter der sie umgebenden Männer hinein, die aber nicht viel Aufhebens von ihr und ihrem Ausschnitt machten. Den waren sie scheinbar schon gewohnt.

Der Mann mit dem V-Ausschnitt war mit zwei Freunden da. Die Freunde waren sich ausstellende Intellektuelle. Kampfbrillen vom Flohmarkt oder dem gut sortierten Antiquitätenladen oder gleich vom Vater auf der Nase, dazu Westen, Hemden, ordnungsgemäß in die Hosen gestopft, natürlich Jeans, festgehalten von einem sichtbaren Gürtel. Bevorzugte Körperhaltung das lässige Zurücklehnen. Natürlich wird auch hier gern gelächelt. Aber anders als die Frau mit dem Ausschnitt lächelte, denn sie war eher in einer netten, unscheinbaren Welt unterwegs.

Natürlich waren auch viele langweilig aussehende Jungs da. Und viele Frauen, die noch immer Kate Jackson nacheifern, in Auftreten und Aussehen. Kate Jackson war die Sängerin der Long Blondes, die sich vor kurzem leider aufgelöst haben. „We have decided to call it a day“ hieß es dazu schnöde auf ihrer Webseite. Schade. Ihre zweite Platte „Couples“ möchte ich an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich empfehlen. Es ist eine der Platten, die sich langsam entfaltet, dann aber immer besser wird.

Das T-Shirt einer punkrockorientierten Dame erinnerte uns dann an die Vergänglichkeit. Sie trug ein Band-T-Shirt der Cramps. Die Cramps waren die erste Trashband überhaupt, sie stiegen aus den Gräbern Kaliforniens, um Hippies und Punks die kalten Hände der Vorzeit zu reichen und die immer schon kaputten Seiten des Rock ’n’ Rolls zu präsentieren. Sie waren Schuld am zweiten oder dritten Revival dieser Musik. Sie sangen über menschliche Fliegen und Bikiniträgerinnen mit Maschinengewehren. Sie hatten in Candy del Mar zeitweilig die Bassistin, nach deren Vorbild ich mir gern immer noch die Freundinnen aussuchen würde. Der Kopf und Sänger der Cramps, Erick Purkheiser alias Lux Interior, ist am vergangenen Dienstag im Alter von 62 Jahren an Herzversagen gestorben. Eine erschütternde Nachricht, besonders, wenn man bedenkt, dass die Cramps erst 1979 ihre erste Platte gemacht haben. Und Keith Richards beispielsweise immer noch lebt.

Was wohl auch zeigt, dass Menschen verschiedene Konstitutionen haben. Die einen stechen sich literweise Heroin und touren durch die Welt, als ob es nichts wäre, die anderen feiern zwei Tage, trinken zu viel Bier, und tagsüber zu viel Kaffee, rauchen zu viele Zigaretten und ernähren sich auch nicht unbedingt gesund, weil sie Kochen hassen und nicht immer Geld fürs gute Restaurant in der Tasche haben. Um schließlich, nach einer zu fettigen Pizza, am Samstagabend mit Bauchschmerzen und Wärmeflasche auf dem Sofa liegen müssen. Und Scrabble spielen bis tief in die Nacht. Sexyness, irrlichternde Intellektualität, Modebewusstsein und Ausschweifung gehen natürlich anders. Aber, wie es in einem meiner Lieblingssongs der Cramps heißt: „The way I walk is just the way I walk.“ RENÉ HAMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen