Eine Kraft für Reich und Arm

Diese Frage bewegt die Menschheit: Wie werden wir uns künftig fortbewegen?

Am Anfang war der Kanal: Als Mitte des 18. Jahrhunderts die Pferdekutschen nicht mehr ausreichten, um die Waren zu transportieren, legten die Briten künstliche Flüsse an. Die Inselbewohner waren sich sicher: „Es gibt keine Stadt von Bedeutung, die mehr als 12 Meilen vom nächsten Schiffahrtsweg entfernt liegt.“ In nur 100 Jahren hoben sie 6.500 Kilometer Kanalbett aus, die anderen europäischen Völker taten es ihnen nach.

Heute gibt es in Europa viele bedeutende Städte, die weiter als 12 Meilen von einem beschiffbaren Gewässer entfernt liegen. Die Kanalidee ist bedeutungslos geworden. Aber in der Umwelt hat sie ihre Spuren hinterlassen – unzählige Kunstflüsse durchziehen den europäischen Kontinent. So haben alle bisherigen Antworten auf die Frage, wie wir morgen fahren werden, ihre Spuren in der westeuropäischen Kulturlandschaft hinterlassen.

Nach den Schiffen kamen die Eisenbahnen. Schon 1804 drehten Ingenieure in Wales ihre erste Runde mit einer Dampflok. Das neue Fortbewegungsmittel bezog sein Prestige nicht zuletzt aus einer sozialen Utopie. „Es ist dieselbe Kraft, die Reiche und Arme befördert. Daher werden die Eisenbahnen als ein Lehrmeister der Gleichheit und Brüderlichkeit wirken“, sagte der französische Sozialist Constantin Pecqueur 1839. Tatsächlich schien das Eisenbahnwesen beidem gerecht zu werden – individuellen Mobilitätsansprüchen und dem Schutz gesellschaftlicher Ressourcen.

Doch keine 70 Jahre später begann man landauf, landab dem individuellen Transport das Wort zu reden. Auch das automobile Zeitalter begann mit einer Fehlprognose. Bei Daimler schätzte man anfangs, dass weltweit nicht mehr als 50.000 Autos verkauft werden könnten. Mehr qualifizierte Chauffeure, so die These, würden sich nicht finden lassen. Der Amerikaner Henry Ford bewies nur wenig später das Gegenteil. 1909 sagte er: „Das Auto wird groß genug sein, um eine Familie mitzunehmen, aber klein genug, dass es ein einzelner Mensch lenken und versorgen kann.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert.

„Vor allem der Klimawandel setzt dem Auto heute seine Grenzen“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule Gelsenkirchen. Weil Autoabgase mitverantwortlich seien für den Treibhauseffekt, steckten VW und Co. viel Geld in die Entwicklung sparsamer, spritarmer Gefährte. Quantensprünge seien in absehbarer Zeit aber nicht zu erwarten, sagt Dudenhöffer. Derzeit setze man auf Hybridmotoren und die Brennstoffzelle. Der Spareffekt hybrider Antriebe sei eher gering. Und die viel gepriesene Brennstoffzelle, die Wasserstoff verarbeitet und Wasser ausstößt, werde so schnell nicht zur Serienreife gebracht werden.

Dafür arbeitet die Industrie an einer Reihe elektronischer Fahrerhilfen. „In den Fahrzeugen werden künftig jede Menge Sensoren stecken“, sagt Dudenhöffer. Diese sollen dem Fahrer Arbeit ersparen. Sie werden verhindern, dass Autos ins Schleudern geraten oder zu dicht auffahren. Radargeräte sollen das menschliche Auge ersetzen. Autofahren, so das Ziel, soll weniger anstrengend werden.

Derzeit kommen auf 1.000 Deutsche 588 Autos – statistisch besitzt jeder Zweite ein Auto. „Mit dieser Quote ist der Markt weitgehend gesättigt“, sagt Dudenhöffer. Das Auto bleibe ein wichtiges Verkehrsmittel. „Auf langen Strecken das Flugzeug, auf mittleren Strecken die Bahn, in der Fläche das Auto – an dieser Aufteilung wird sich so schnell nichts ändern“, meint er. Die Vision, irgendwann ohne Auto auskommen zu können, habe sich vorerst erledigt.

MATTHIAS BRAUN