„Da entsteht gerade ein komisches System“

Claudia Lux, Generaldirektorin der Zentral- und Landesbibliothek, möchte den Zuständigkeitswirrwarr der Berliner öffentlichen Bibliotheken klären. Sie sollen zum allgemeinen Lernort werden – wer das finanziert, ist ihr erst mal egal

taz: Frau Lux, Sie fragen in ihrem Vortrag beim Ifla-Kongress „Berliner Öffentliche Bibliotheken – Garantieren sie Vielfalt?“ Tun sie das?

Claudia Lux: Sie bieten auf jeden Fall eine große Vielfalt des Services. Aber in meinem Vortrag geht es um die Vielfalt der Strukturen. Die verhindert etwas zu entscheiden, obwohl man es entscheiden müsste.

Inwiefern?

12 Bezirks- und eine Zentral- und Landesbibliothek sind jedes Mal darauf angewiesen, dass alle Geld geben, wenn wir in der Technologie ein Stückchen weiterschreiten wollen. Da entsteht gerade ein ganz komisches System. Auf der einen Seite der gemeinsame Katalog mit allen Funktionen für den Kunden, auf der anderen Seite eine völlig dezentrale Struktur, die Einzelentscheidungen der Bibliotheken ermöglicht.

Gibt es Bestrebungen, das zu ändern?

Es gibt auf jeden Fall Diskussionen. Die entscheidende Frage ist: Wer investiert zukünftig in die Erneuerung der Technologie? Da hat das Land entschieden, dass sich die Bezirke beteiligen sollen. Das ist im Moment die Krux. Bis nämlich alle Bezirke dabei sind, dauert es sehr lange. Langfristig wird die Folge eine schlechtere technologische Ausstattung sein.

Das spricht für einen landesweiten Bibliothekenverbund.

Ich habe das vorgeschlagen. Aber die Bezirke wollen natürlich keine Zentralisierung, weil sie dann keinen Zugriff mehr auf den Erwerbungetat für die Bibliotheken hätten. Derzeit finanzieren die Bezirke daraus auch andere Sachen, etwa Sportstätten. DasGeld wird immer weniger und man bedient sich da, wo noch was vorhanden ist.

Dabei wurden die Mittel für die Bibliotheken in den letzten zehn Jahren bereits halbiert.

Allerdings hat sich damit auch die Zahl der Bibliotheken halbiert. 1992 hatten wir 200, heute nur noch 107.

Und geht das noch weiter?

Es gibt Bezirke, die ihre Zweigstellen halten können, andere sind aber sehr unter Druck. In Marzahn-Hellersdorf etwa sagt der Bürgermeister, er könne die Miete nicht mehr zahlen. Läuft ein Vertrag aus, muss er entweder kostenlose Räume bekommen oder er macht die Bibliothek zu. Das könnte bedeuten, dass es in drei Jahren keine Zweigstelle mehr in Hellersdorf gibt.

Worin sehen Sie die Hauptaufgabe der Bibliotheken?

Wir wollen für jeden Zugang zu Information schaffen. Wir bemühen uns dabei auch um Integration. In Berlin haben wir ein breites fremdsprachliches Angebot. In Kreuzberg haben wir viel türkische Literatur, in Lichtenberg einen Schwerpunkt in vietnamesischer Sprache. Das grundsätzliche Konzept dahinter ist die Bibliothek als Lernort. Und genau das müssen wir in Deutschland implementieren. Wir richten gerade eine „E-Learning-Bar“ ein. Im November können wir mit einem Lernkonzept anfangen. Zum einen Deutsch für Ausländer, aber auch Fremdsprachen für Deutsche. Das selbstbestimmte Lernen soll das sein, was die Bibliothek ausmacht.

Wer soll das koordinieren? Für die öffentlichen Bibliotheken sind die Bezirke zuständig, die Unibibliotheken sind beim Wissenschaftssenator angesiedelt. Die Schulbibliotheken, die nach der Pisa-Studie extrem wichtig wären, werden vom Schulsenator finanziert.

Richtig, das ist ein ganz entscheidender Punkt. Das ist Vielfalt, die wir nicht gebrauchen können. Ich sage immer, wir Bibliotheken müssen auf allen Hochzeiten tanzen und schauen, wo wir das Geld herkriegen.INTERVIEW: NICOLAI KWASNIEWSKI