Das Fremde ist eine Illusion

Alltag und Störgeräusche: Mit seiner Band Camping hat sich Henning Fritzenwalder auf Bossa Nova mit deutschen Texten spezialisiert. Brasilien hat er deshalb bislang trotzdem noch nicht bereist

VON THOMAS WINKLER

Bossa Nova mit deutschen Texten. Das muss man sich erst mal trauen. Darauf muss man, vier Jahrzehnte nach Manuela und „Schuld ist nur der Bossa Nova“ überhaupt erst mal kommen. Dass Camping, der Name, unter dem „Suburban Shore“ veröffentlicht wurde, das Album, auf dem Bossa Nova mit deutschen Texten drauf ist, womöglich ein unglücklicher Name sein könnte, darauf ist Henning Fritzenwalder allerdings noch nicht gekommen. „Das“, sagt Fritzenwalder, „das versteh ich jetzt nicht.“ Na, Camping eben, Sommer, Sonne, Strand, Brasilien, Bossa Nova, ist das nicht ein bisschen viel? Jetzt ist der Künstler perplex. Zwar hat er auch schon feststellen dürfen, dass er, wenn er nach den Namen seines Projekts im Internet sucht, vor allem auf das Stichwort „Campingführer“ stößt. Aber gezogen hat er diese allzu offensichtliche Parallele noch nicht, wohl weil Bossa Nova für ihn nie Urlaubsmusik war, sondern einfach nur Musik.

Seit Fritzenwalder vor fünf Jahren João Gilberto für sich entdeckte, hört er fast nur noch den brasilianischen Jazz aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Es sind kaum vierzig Alben, die in seinem Schrank stehen und aus denen sich sein musikalisches Universum zusammensetzt, ergänzt von Neutönern wie Steve Reich oder Arnold Schönberg, „Sachen eben, in denen der Popkontext nicht zählt.“

Genau dort allerdings, im Pop, hat Fritzenwalder seine musikalische Früherziehung begonnen. In seiner Geburtsstadt Hamburg spielte er bei den Fünf Freunden („Das war so Sixties-Beat“), bevor er Camping gründete, eine erste Platte herausbrachte, die nach der damals aktuellen Hamburger Schule klang, und eine zweite, „über die ich lieber gar nichts sage“. Vor drei Jahren zog der Web-Designer aus beruflichen Gründen nach Berlin, kurz darauf begann er mit den Aufnahmen zu „Suburban Shore“.

Die Idee, zu Bossa Nova deutsche Texte zu singen, mag Fritzenwalder selbst „gar nicht so absonderlich“ erscheinen. Die Musikindustrie allerdings war da anderer Meinung. „Suburban Shore“ wurde von so ziemlich jeder deutschen Independent-Plattenfirma, von der man hätte annehmen dürfen, dass sie sich dafür interessieren könnte, freundlich abgelehnt. Was zwar entschieden mehr sagt über die momentan mangelnde Risikobereitschaft in der Branche als über die Qualität der Musik von Camping. Was aber auch dazu führte, dass die gut zwei Jahre alten Aufnahmen erst jetzt erschienen sind. Womöglich war die Zeit ja noch nicht reif für sein Konzept.

Mittlerweile scheint es fast einen Trend zu geben, versucht sich neben ihm hier in der Hauptstadt auch noch die Kleingeldprinzessin, lateinamerikanische Klänge mit der doch angeblich so harschen deutschen Sprache zusammenzubringen. Auch Fritzenwalder singt manchen Konsonanten weicher, als er sonst gesprochen wird, und lässt sich beim Schreiben seiner Texte „sehr vom Klang der Wörter leiten“. Den sich nun aufdrängenden Verdacht, seine Texte könnten womöglich nur lautmalerischer Blödsinn sein, bestätigt „Suburban Shore“ aber keineswegs: Mit einfachen Worten beschreibt der Fünfunddreißigjährige Alltagssituationen, erzählt wie er „Brötchen mit Sesam“ für die Liebste holt und welche Erinnerungen ein einziges Foto heraufbeschwören kann. Und im Hintergrund der meisten Songs wird die flirrende Grundstimmung hinterfragt von elektronischen Störgeräuschen oder einer leicht quer liegenden Gitarre. „Ich spiele eine Mutation der echten Bossa, eine Weiterentwicklung“, meint Fritzenwalder.

Ohne diese Unstimmigkeiten klänge Camping vermutlich auch wie eine billige Retro-Show, denn schließlich ist die klassische Bossa Nova in ihrem Heimatland längst zum Oldie geworden. Auch deswegen hat Fritzenwalder den Versuch, Portugiesisch zu lernen, schnell wieder aufgegeben und ist nicht allzu unglücklich, dass es sich bislang nicht ergeben hat, Brasilien zu besuchen. Spätestens „City of God“ hat ihn davon überzeugt, dass das wahre Brasilien nicht viel gemein haben dürfte mit dem Traumort, der sich unweigerlich zusammensetzt, wenn man João Gilberto oder Antonio Carlos Jobim hört. „Das Brasilien, das ich im Kopf habe“, sagt er, „das ist eine fremde Kultur, und ich will diese Differenzen auch gar nicht aufheben.“ In Brasilien also wird Fritzenwalder niemals heimisch werden. Auch hier, in Prenzlauer Berg, wohnt Henning Fritzenwalder noch nicht allzu lange. Auf dem Tisch im Wohnzimmer liegen noch Salz und Brot. Im Bossa Nova aber, das kann man hören, ist er zu Hause.