Sprich Spanisch!

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Es gehört mittlerweile zum Standardrepertoire aller Präsidentschaftskandidaten, bei Wahlkampfauftritten mit Latino-Publikum ein paar Sätze Spanisch zu stammeln. TV-Wahlspots in Regionen mit einem hohen Anteil an Hispanics sind zweisprachig. Ebenso die Webseiten der beiden rivalisierenden Parteien.

Latinos gelten bei diesen Wahlen, in denen viele ein knappes Rennen zwischen Amtsinhaber George W. Bush und seinem Herausforderer John Kerry vorhersagen, als Zünglein an der Waage. Sie stellen mit knapp 40 Millionen Menschen mittlerweile die größte Minderheit in den USA. Die meisten von ihnen leben im Südwesten des Landes zwischen Kalifornien und Texas.

Selbst Demokraten geben neidisch zu, dass Bush unter vielen Einwanderern aus Lateinamerika sehr beliebt ist. Das liegt vor allem an seinen engen persönlichen Beziehungen zu vielen Latinos, die er während seiner Zeit als Gouverneur von Texas knüpfte. Profitieren dürfte er auch vom Ansehen seines Bruders, der mit Unterstützung lateinamerikanischer Geschäftsleute in Florida regiert und mit einer Mexikanerin verheiratet ist. Bei der Wahl vor vier Jahren sicherte sich Bush landesweit 35 Prozent der Latino-Stimmen – ein großer Sprung im Vergleich zum Urnengang 1996, als die Republikaner lediglich 21 Prozent erhielten. Und diesen Herbst peilen die Wahlstrategen aus dem Bush-Lager die 40-Prozent-Marke an.

Die meisten Demokraten beunruhigt dies jedoch nicht. Sie erinnern daran, dass ihr Kandidat Al Gore 2000 fast doppelt so viele Stimmen von Latinos erhielt wie Bush, und vertrauen der traditionellen Wählerbindung. Doch Meinungsforscher warnen, dass diese Rechnung nicht aufgehen könnte. „Das Problem meiner Partei ist, dass sie glaubt, die Hispanics würden selbstverständlich für uns stimmen“, pflichtet ihnen Bill Richardson bei, demokratischer Gouverneur von New Mexico.

Das bisherige Stimmverhalten der Latinos hat eine einfache Ursache: Als „underdogs“ fühlten sie ihre sozialen Interessen von den Demokraten besser vertreten. Doch in dem Maße, wie sie in der zweiten oder dritten Generation den Aufstieg schaffen, tendieren sie zu den Republikanern. Und mit ihren traditionellen Wertvorstellungen fühlen sich die Hispanics ohnehin bei den Konservativen besser aufgehoben. Wie diese setzen sie auf Eigenständigkeit, misstrauen dem Staat, schätzen enge familiäre Bande, sind sehr religiös, lehnen Abtreibung und homosexuelle Partnerschaften ab. 74 Prozent der Latinos entscheiden nach Angaben des „National Council of La Raza“ (NCLR), ihrer größten Interessenvertretung in den USA, danach, wie der jeweilige Kandidat in der Vergangenheit ihre speziellen Interessen vertreten hat.

Nach dem für sie wichtigsten Thema befragt, nennen Latinos mit Abstand bessere Bildungschancen. Dies verwundert nicht: Lediglich 73 Prozent von ihnen schließen die High School ab, verglichen mit 89 Prozent bei Afroamerikanern. Darüber hinaus interessieren sie sich vor allem für die Wirtschaftsentwicklung, die Situation auf dem Arbeitsmarkt und Einwanderungsfragen – keine schlechten Karten für Bush, möchte man meinen. Die Wirtschaft boomt und mit seiner Initiative vom vergangenen Winter, illegalen Einwanderern eine temporäre Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu gewähren, konnte Bush unter Hispanics punkten.

Minuspunkte für Bush

Näher betrachtet schmelzen die Pluspunkte jedoch dahin. Bushs Programm zur Verbesserung der Lernchancen benachteiligter Kinder, vor allem aus Einwandererfamilien, fördert laut NCLR eher die Diskriminierung von Latino-Kindern, da es auf Tests fokussiere, sprachliche und kulturelle Barrieren jedoch nicht berücksichtige. Die Jobsituation in den USA hat sich zwar in den letzten Monaten merklich verbessert, doch Hispanics profitieren davon kaum. Ihre Arbeitslosenquote pendelt weiterhin um den für US-Verhältnisse hohen Wert von 7 Prozent. Zu ihrem Leidwesen drängen durch den massiven Abbau gut bezahlter Jobs nunmehr auch höher qualifizierte Amerikaner in den von ihnen dominierten Niedriglohnsektor.

Gefährlich für Bush könnte jedoch ausgerechnet die Einwanderungspolitik werden. Seine Initiative vom Januar blieb heiße Luft. Die praktische Umsetzung scheiterte am Widerstand in den eigenen Reihen. Republikaner vom Schlage „das Boot ist voll“ ließen kein gutes Haar an dem Plan und warfen Bush vor, Gesetzesbruch zu belohnen. Andererseits geht Latino-Politikern der Vorschlag nicht weit genug. Da es sich um temporäre Arbeitsgenehmigungen handeln soll, fürchten sie, das Auftauchen der Einwanderer aus der Illegalität werde am Ende mit Abschiebung bestraft.

Kerry nutzte dies umgehend im Wahlkampf. Er verkündete, als Präsident würde er innerhalb von hundert Tagen nach Amtseinführung dem Kongress einen Gesetzesvorschlag unterbreiten, der illegalen Einwanderern, die lange in den USA leben, einen raschen Weg in die Staatsbürgerschaft ebnen soll. Außerdem beabsichtige er, den rechtlichen Status illegaler Tagelöhner in der Landwirtschaft zu verbessern.

Profitieren könnten die Demokraten auch von der ablehnenden Haltung vieler Latinos gegen den Irakkrieg. Denn viele Einwandererfamilien sind direkt betroffen. Ihre Töchter und Söhne stellen einen überproportional hohen Anteil am Militärpersonal, da die Armee oftmals die einzige soziale Aufstiegsmöglichkeit bietet und als schneller Weg zur Einbürgerung gilt. Eine Umfrage des „Pew Hispanic Center“ in Washington ergab, dass Latinos die Okkupation des Irak weit weniger unterstützen als der Rest der Bevölkerung.

Doch reicht dies aus? Werden die Hispanics den Demokraten treu bleiben? „Latinos sind mehr denn je bereit, ihre Parteipräferenz zu ändern“, sagt Lisa Garcia Bedolla, Einwanderungsexpertin von der University of California. Dies erschwere eine Vorhersage über das Wahlverhalten enorm. In Staaten mit hohem Wechselwähler- und Latino-Anteil wie New Mexico, Arizona, Nevada und Florida könne das Pendel daher in beide Richtungen ausschlagen. Doch auch in der Demokraten-Bastion Kalifornien hat die Wahl von Arnold Schwarzenegger zum Gouverneur gezeigt, dass die alten Muster zerfallen. 40 Prozent der Hispanics stimmten für den Republikaner aus Österreich. Ein anderer republikanischer Kandidat kam auf 9 Prozent. Der demokratische Gegenspieler Cruz Bustamante, ein Mexikaner, erhielt trotz vermeintlicher Hausmacht nur 52 Prozent.

Noch unübersichtlicher wird die Situation dadurch, dass die Hispanics eine sehr heterogene Minderheit sind, die sich aus Immigranten aller lateinamerikanischen Länder zusammensetzt. So beurteilen die Einwanderergruppen auch außenpolitische Entscheidungen der Regierung völlig unterschiedlich, sei es über Militärhilfe für Kolumbien oder Verhandlungen mit Mexiko über Arbeitsbestimmungen. Jüngstes Beispiel sind die Exilkubaner in Florida. Bushs Beschluss, die Sanktionen gegen Fidel Castros Regime drastisch zu verschärfen, löste ein geteiltes Echo im Sonnenstaat aus. Die alte Garde der Exilanten, Hardcore-Republikaner, die am liebsten eine US-Invasion zum Sturz von Castro sehen würden, begrüßte die eingeschränkten Reise- und Geldtransfermöglichkeiten. Die jüngere Flüchtlingsgeneration hingegen, die an unkomplizierten Kontakten zu ihren Familien interessiert ist, reagierte zum Teil empört. Viele von ihnen, so neuere Untersuchungen, dürften sich enttäuscht vom US-Präsidenten abwenden. Keine Gefahr – beschwichtigen die Republikaner. Doch Bush gewann Florida vor vier Jahren mit nur 537 Stimmen Vorsprung.

Letztlich kommt es darauf an, welche Partei am besten ihre Stammwähler mobilisieren kann. Es gilt die Faustregel: Je höher die Wahlbeteiligung unter Latinos, um so größer die Chance, dass Kerry gewinnt. So wird er noch viele Reden mit spanischen Textbausteinen halten, um eine schrumpfende Anhängerschaft zu hofieren.