WATCHING OBAMA (6): ROBERT HABECK SCHREIBT FÜR DIE TAZ NORD EIN TAGEBUCH AUS WASHINGTON
: Der Präsident als Bürger

Der 44. Präsident der USA hat seine erste Prime-Time-TV-Pressekonferenz gegeben, die früheste im Amt, die in der jüngeren Vergangenheit je gegeben wurde. Und schon das ist ein Fingerzeig, wie Obama regieren wird.

Inhaltlich war er sicher und überzeugend, für meine Verhältnisse sogar überzeugend klar, was das Zurückweisen und die Aburteilung der neoliberalen Wirtschaftsdogmen anging. Aber darüber werden viele andere schreiben.

Mein Blickwinkel ist ein anderer. Gestern Abend ist Obama wieder zum Wahlkämpfer geworden. Plötzlich verfiel er in die pointierte Sprache seiner Wahlkampagne, plötzlich unterstrich er Sätze mit starker Gestik. Es ist nicht erste erstaunliche Veränderung, die der öffentliche Obama präsentiert.

Als er noch gegen Hillary stritt, agierte Obama sehr moderat. Er entwickelte die Rede von der Einheit statt von der Polarisierung der Nation. Sieht man Videos und Bilder dieser Zeit, dann hat er die Hände oft gefaltet, schaut nachdenklich. Es gelang Obama zu zeigen, dass man vor ihm, dem „schwarzen Mann“ keine Angst haben muss. Er präsentierte sich gegenüber der kämpferischen, aggressiven Art Hillarys als der Umsichtigere. Eine etwas zynische Dialektik: Weil Clinton sich als den Männern ebenbürtig zeigen musste (und wollte), konnte Obama zum Hoffnungsträger der Veränderung werden.

Dann, etwa zur Hälfte der Kampagne, änderte Obama den Ton. Er hatte durch seine Art zwar die weiße, demokratische Mittelschicht erreicht, aber viele Afroamerikaner nicht. Obama kopierte den Sermon, jenes call-and-response-Schemas, das man aus den Gottesdiensten der afroamerikanischen Community kennt. Für die Techniker des Vortrags ist es faszinierend, auf den YouTube-Videos zu sehen, wie Obama beim Reden immer seine Antennen ins Publikum gerichtet hat und immer dann, wenn das Publikum auf ihn reagiert, es mit einer Gegenreaktion belohnt. Er zieht seine Masche nicht durch und „setzt rhetorische Mittel ein“, er erfindet diese Momente gemeinsam mit seinem Publikum.

Eingerahmt wurde dieser Obama durch eine neue Bildsprache. Auf vielen Bildern sieht man ihn von hinten (Politiker müssen in Zukunft wohl auch von hinten gut aussehen!) vor der Menge der Fans. So entsteht der Eindruck, einer von vielen zu sein. Die Unmittelbarkeit des Augenblicks wird im Bild eingefangen. Bereits mit der Wahl zum Präsidenten veränderte sich Obamas Haltung ein weiteres Mal – gipfelnd in der heutigen Ansprache an sein – ha!, eben nicht Volk – an seine „fellow citizens“ (Der Unterschied zwischen Volk und Bürgern ist einer, der aufs Ganze geht!).

Die Bücher und Postkarten, die nach seiner Wahl gedruckt wurden, zeigen ihn oft als Einzelnen. Statt seines Publikums kommen jetzt die Insignien des Amtes hinzu, die Flagge der USA, der Adler, Wappen. Dann erlebten wir mit der Pressekonferenz die Rückkehr des Wahlkämpfers. Nach einer kurzen Phase der Repräsentation hat er seine Spur wiedergefunden, ein Präsident nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger, sondern einer, der selbst Bürger ist. Er hat seine Politik nicht so sehr den amerikanischen Menschen verdeutlicht, als vielmehr die amerikanischen Menschen der Politik.

Fotohinweis:ROBERT HABECK, 39, ist Schriftsteller und Parteichef der Grünen in Schleswig-Holstein. Derzeit besucht er Washington auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung. FOTO: DPA