Realität als Horrorszenario

Im KZ Sandbostel wurden bis zu 50.000 Menschen von den Nazis ermordet. Seit Jahren wehrt sich die Stadt Bremervörde gegen eine Gedenkstätte. Und erklärt den Hamburger Holocaust-Überlebenden Ivar Buterfas zur unerwünschten Person

Hamburgs Senat ehrte Buterfas „für Dienste am Volk“, für die CDU in Bremervörde ist er „persona non grata“

von christian ludwig

„Ich drohe nicht, ich verspreche: Ich mache diesen Ort bekannter als Las Vegas“: Ivar Buterfas ist sauer. Der Hamburger und Überlebende des Holocausts möchte am 9. November 2004 zum Jahrestag der Reichspogromnacht im Rathaus von Bremervörde aus seiner Biographie lesen. Die Einnahmen sollten den Grundstock bilden für eine Gedenkstätte im ehemaligen Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglager Sandbostel bei Bremervörde, einem trostlosen Ort in Nordniedersachsen zwischen Stade und Bremerhaven. Zu der Lesung wird es jetzt nicht kommen: Buterfas ist in Bremervörde unerwünscht.

Seit zwölf Jahren kämpft der Verein „Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel e. V.“ für die Errichtung einer Gedenkstätte an dem Ort, an dem eine Million Menschen von den Nazis interniert und bis zu 50.000 ermordet wurden. Heute befindet sich hier ein Gewerbegebiet, die verfallenden Gebäude sind in Privatbesitz, kein Überlebender und Angehöriger darf den Ort betreten. Und Buterfas nicht das Bremervörder Rathaus.

Bauunternehmer ist der 71-Jährige, Ehrenpräsident des Hamburger „Förderkreises Rettet St. Nikolai“, im Februar wegen seines „Engagements für das Gemeinwohl“ vom Hamburger Senat mit der „Medaille für Dienste am Volk“ geehrt, Träger des Bundesverdienstkreuzes und des Weltfriedenspreises – und „persona non grata“ in der Kleinstadt: „Die Bremervörder CDU hat mich des Rathauses verwiesen“, berichtete Buterfas am Montag bei einer Konferenz über eine Gedenkstätte Sandbostel in der Hamburger St. Nikolai-Kirche.

Der Verein um den Vorsitzenden Dr. Dieter Kohlrausch und den Leiter der Dokumentationsstätte, Dr. Klaus Volland, wollte dort mit Gegnern der Gedenkstätte und internationalen Gästen das Projekt diskutieren. Doch von den Gegnern ist niemand erschienen. Der Landrat des Kreises Rotenburg/Wümme, Heinz-Harald Fitschen, hat wenige Tage vor der Tagung seine Teilnahme zurückgezogen.

Seit Jahren wehrt sich Sandbostel gegen die Gedenkstätte, immer wieder wurde die Verantwortung zwischen Gemeinde, Landkreis und Bundesland hin- und hergeschoben. Die einen wollen verdrängen oder das Gedenken auf den Soldatenfriedhof abschieben. Der Verein will die Gedenkstätte auf dem authentischen Gelände errichten. Seit sich Ivar Buterfas in die Diskussion eingemischt hat, kommt Schwung in die Angelegenheit.

Als er von den Zuständen in Sandbostel hörte, war er erschüttert: „Das ist kein Horrorszenario von Steven Spielberg, das ist Realität in 2004.“ Er will einen Ort, an dem aller Toten gedacht werden kann, „oder ist das zu viel verlangt?“

14 diplomatische Vertreter, unter anderem aus Polen, Kroatien und Frankreich, kamen zum Kongress nach Hamburg, Buterfas lud sie nach Sandbostel ein. Auf der politischen Ebene soll so Druck auf Bundeskanzler Gerhard Schröder, ehemals niedersächsischer Ministerpräsident, ausgeübt werden: „Und dann soll Schröder das wahr machen, was er am D-Day in Frankreich versprochen hat: Dass er sich für das Gedenken einsetzt und Verantwortung für die Vergangenheit übernimmt“, so Buterfas.

Adolf Klement, Österreichischer Generalkonsul und Rangältester des diplomatischen Korps in Hamburg, hat die Einladung zu dem Besuch bereits angenommen. Er wolle dabei sein, helfen und unterstützen. Die Chancen für die Gedenkstätte werden mit dem internationalen Druck sicherlich größer. Denn den Eklat um seine Lesung nimmt Ivar Buterfas „natürlich persönlich“.