Architektur der Grenze

Die Manifesta, die nomadisierende Biennale für zeitgenössische Kunst, macht in ihrem fünften Jahr im baskischen San Sebastián Station. Doch die Auseinandersetzung mit dem Ort bleibt leider aus

Das Manifesta-Logo zeigt eine weiße 5 in pinkfarbenem Stern: harmloser Agitprop

VON GREGOR JANSEN

Eine Szene wie aus einem Film: Leichter Nebel hängt über den steilen, saftig grünen Berghängen an der spanischen Atlantikbucht mit ihrem blauen Meer; ein Schiffswrack rostet in einer alten Werftanlage vor sich hin: eine Inszenierung, die dem belgischen Künstler Jan de Cock und seinem „Denkmal 2“ fast die Schau stiehlt. Sein gigantischer Holzeinbau in der Bootswerft Ondartxo ist auch ein Umbau, ein Haus im Haus, integriert und doch ein Fremdkörper. In ihrer spröden Schönheit und Eleganz bei gleichzeitiger Opulenz ist die installative Skulptur das einzige (auch politische) Highlight der aktuellen Manifesta 5 in San Sebastián.

Donostia heißt die Stadt in der Sprache des Baskenlandes, jener stolzen und reichen, auf Autonomie pochenden Region. Mit den Bergen im Rücken lädt die Stadt zum Träumen ein: ein aristokratischer Kurort mit einem Hauch von Copacabana, zwei wundervoll geschwungenen Buchten, Promenaden und einem renommierten Filmfestival. Eine Idylle, die jäh gestört wird, wenn die baskische Befreiungsorganisation ETA zuschlägt. Durch deren Aktivitäten wurden zwischen ihrer Gründung 1968 und dem März 2004 laut einer Zählung des spanischen Innenministeriums 816 Menschen getötet.

Nichts davon ist in der aktuellen Manifesta zu ahnen, die sich in den Kulturinstituten San Sebastiáns gemütlich eingerichtet hat. Nur im östlichen Industriehafen, dem Stadtteil Pasaia und bei Ondartxo sucht sie die Nähe zum Konflikt. Zur Eröffnung konnte man die Casa Ciriza, eine alte Fischfabrik, und eben die Bootswerft mit De Cocks Installation leicht besuchen, dank der bereitgestellten Shuttle-Busse – doch wie mag das in den folgenden Wochen aussehen? Eine wichtige Frage, zeigt die Postkartenidylle doch allein hier ein paar Risse.

Leider nehmen es nur wenige Arbeiten mit dem kaum mehr genutzten, visuell aber starken Industrieareal auf: die Fotos des Russen Boris Mikhailov, das Kult-Tanz-Video „Fiorucci Made Me Hardcore“ von Mark Leckey oder der übel riechende, energiegeladene Raum von Micol Assael. Die Kuratoren Massimiliano Gioni und Marta Kuzma outen sich mit ihrem Programm, das die Kunstwerke effektvoll in Szene setzt, als alles richtig machende, aber risikolose Romantiker. Einen orts- und kunstspezifischen Mehrwert erzeugen sie nicht.

Architektur als Grenzziehung ist das Thema im Kursaal, einem imposant windschiefen Quader des Architekten Rafael Moneo direkt an Donostias Surferbucht. Die Arbeit „Diarios“ von Markus Schinwald bezieht sich formal auf Chris Markers Film „La Jetée“. Schinwald verzichtete gänzlich auf das Medium Film und erzählt seine Geschichte mit Diapositiven. Michael Sailstorfer hat ein Industriegebläse aus der Casa Ciriza mit Lüftungsschacht und Mikrofon so kombiniert, als könnte dort über einem U-Bahn-Schacht Marilyn stehen. Der Portugiese Carlos Bunga ließ die riesige Papparchitektur, die er aufgebaut hat, kurz vor Ausstellungseröffnung in sich zusammenstürzen. Nun türmt sie sich wie Caspar David Friedrichs Eismeerschollen am Boden auf: ein gebrochen romantisches Setting, an das die nordischen Landschaftsfotos von Geert Goiris anschließen, die ihrerseits an Roland Emmerichs Klimakatastrophenlust erinnern.

Die reale Katastrophe scheint da fehl am Platz: wie Eyal Sivans und Michel Khleifis Dokumentarfilm „Route 181“, der anhand privater Äußerungen der Betroffenen das Leben an der Grenze zwischen Israel und Palästina schildert und so einen großen Konflikt der Weltpolitik thematisiert.

Das Kloster Museo San Telmo in der Altstadt, das drei sehenswerte El Grecos beherbergt, wäre für „Route 181“ sicher der bessere Ort gewesen. Hier ist zwischen John Bocks Hasen-Video und Mark Manders stillem Raumarrangement eine wunderbar irritierende Filmerzählung der Berliner Künstlerin Hito Steyerl installiert. Intelligent, slapstickartig und amoralisch verknüpft sie in „November“, ihrer ersten Super-8-Arbeit, den Auftritt ihrer damaligen Hauptdarstellerin Andrea Wolf mit der Nachricht von deren Tod in Kurdistan, wo Andrea Wolf 1998 als Terroristin erschossen wurde. Am Ende ergibt sich ein provokantes Dokument revolutionärer Mythenkonstruktion.

Andere Mythen lagern im Keller des Kulturzentrums Koldo Mitxelena: Hier ist eine bunte Mischung paranormaler Nebenwelten zu Hause. Daniel Roth montiert eindrucksvoll aus Zeichnungen und Fotos einen weitläufigen Parallelkosmos, in den auch Cathy Wilkes ephemerer Werkstattraum abzuwandern scheint. Wie überall bei derartigen Veranstaltungen ist Malerei rar: Nur Johannes Kahrs und Michael Borremans sind da einander Stütze.

Trotz einer wohlgeratenen, unstrittigen Ausstellung an einem bezaubernden Fleckchen Erde muss am Ende die Frage nach der Relevanz der Wanderbiennale und des Ortes offen bleiben. Das Logo der Manifesta zeigt eine weiße „5“ in einem pinkfarbenen Graffiti-Stern: Inhaltsentleerter, harmloser Agitprop, bei dem Kunst als Schein-Agitation für Stadtmarketing, Lokalpolitik und Strukturveränderungen (im Hafenareal) dient.

Unter diesem Gesichtspunkt wird auch Jan De Cocks von der Kommune finanzierter Materialfetischismus in Pasaia verständlich und strittig. Davon hätte man sich mehr erträumt.

Es gibt viel zu tun bis 2006. Dann wird die Manifesta 6 auf Zypern Station machen.

Manifesta 5: bis zum 30. September Info: www.manifesta.es