Vom Knast zur Gedenkstätte

Teilnehmer des internationalen Jugend-Workcamps in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme dokumentieren Auszug der JVA. Dazu gehört auch das Stöbern durch die jetzt leer stehenden Zellen des Gefängnisses: Knast-Abriss beginnt im Herbst

„Ein Lachen auf dem KZ-Gelände zu unterdrücken, das ist ja das Letzte“

Von MAREIKE ADEN

„Glaubt bloß nicht, dass im Konzentrationslager nur geweint und gebetet wurde“, sagt Fritz Bringmann. Er muss es wissen: Insgesamt neun Jahre verbrachte der 85-jährige Lübecker als politischer Häftling in Konzentrationslagern in Sachsenhausen, Neuengamme und Außenlagern in Bremen und Osnabrück. „Wir haben Lieder gesungen und uns gefreut, wenn eine solidarische Aktion gelungen ist.“ Ohne etwas Lebensfreude sei es nicht möglich gewesen zu überleben.

Fritz Bringmann sitzt im Plattenhaus der KZ-Gedenksstätte Neuengamme. Er hat hier bereits viele so genannte „Zeitzeugengespräche“ mit jungen Menschen geführt. Seine heutigen 30 Zuhörer kommen aus Italien, Spanien, Tschechien, Deutschland, Holland, Polen, Russland, Schweden, England und den USA. Sie sind die Teilnehmer des dreiwöchigen internationalen Jugendcamps, das unter dem Titel „Changes – Wandlungen“ seit dem 25. Juli in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme stattfindet. Rund 200 Meter vom Plattenhaus entfernt sind auf einer Rasenfläche sechs große, weiße Zelte aufgebaut: „Wir schlafen, waschen und kochen hier“, erklärt der 20 Jahre alte Manfred Walser, Mitorganisator des Camps. „Und haben viel Spaß“, ergänzt der 21-jährige Amadou Barry, der vor sechs Jahren aus Sierra Leone nach Deutschland kam. „Aber wir alle leiden mit den KZ-Häftlingen von damals.“ Deshalb stellten sie sich fast täglich die Frage, ob man sich an einem solchen Ort vergnügen dürfe. „Ja, man darf“, findet Melani Klaric, die das Camp mit einem Team von sieben Mitarbeitern organisiert. Solange die Jugendlichen sich bewusst seien, wo sie sich gerade aufhielten: „Und das kann man hier gar nicht vergessen.“

„Das Camp dieses Jahr ist etwas ganz Besonderes“, findet Manfred Walser, der auch im vergangenen Jahr Mitglied des Organisationsteams war. Grund für diese „Einmaligkeit“ ist der Auszug der Justizvollzugsanstalt XII, die seit 1948 auf dem Gelände des ehemaligen Häftlingslagers bestand. Nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und der Organisation ehemaliger Häftlinge des KZ-Neuengamme wurde das Gelände der JVA XII Ende Juni der Gedenkstätte Neuengamme übergeben. „Einen Knast auf ein KZ zu bauen, ist Deutschland pur“, empört sich ein Teilnehmer aus Hamburg, der seinen Namen nicht nennen möchte. Es sei gut, dass „das Ding endlich wegkommt“. Im Oktober werden die Abrissarbeiten beginnen.

Die Teilnehmer des Jugendcamps wollen diesen Wandel vom Knast zur Gedenkstätte dokumentieren. Sie haben freien Zugang zu den leer stehenden Gebäuden und können so in den verlassenen, jedoch noch nicht ausgeräumten Zellen herumstöbern. Zwischen Matratzenbergen und verrosteten Bettgestellen gibt es viel zu entdecken: Fußmatten, Kleiderhaken, Becher und Teller, Bettwäsche, Poster von Pin-up-Girls sowie biblische Kalender gehören zu den Fundstücken. „Es ist eine gruselige Atmosphäre hier, aber auch faszinierend“, beschreibt der 24-jährige Roberto Guitierrez Ruiz aus Valencia seine widersprüchlichen Gefühle.

In fünf Workshops arbeiten die Jugendlichen täglich drei Stunden: Sie fotografieren, schreiben Artikel über ihre Erfahrungen, proben ein Theaterstück, dass das Leben eines Häftlings nachzeichnet. Eine andere Arbeitsgruppe baut aus Holz die JVA-Zellen in Orginalgröße nach und füllt sie mit den Fundstücken der Entdeckungszüge.

Die Ergebnisse der Workshops werden der Öffentlichkeit am Sonntag ab 15 Uhr im ehemaligen Klinkerwerk in der Gedenkstätte Neuengamme vorgestellt. „Jeder ist willkommen“, sagt Melani Klaric, die auch das künstlerische Konzept des Camps 2002 ausgearbeitet hat. Es sei eine gute Möglichkeit sich nicht nur über die Geschichte, sondern über die Zukunft des Geländes zu informieren. „Der Auszug der JVA XII ist ein Meilenstein für die Gedenkstätte“, so Klaric. Aber man dürfe nicht vergessen, dass sich die JVA IX immer noch dort befände, wo KZ-Häftlinge in Tongruben geschuftet hätten. Die Workcamps seien stets eine Möglichkeit, Jugendliche aus der ganzen Welt auf den Nationalsozialismus sowie auf die problematische Situation des ehemaligen KZ aufmerksam zu machen.

„Ohne die Camps vergangener Jahre wäre die Gedenkstätte nicht zu dem geworden, was sie heute ist“, betont auch Ex-Häftling Fritz Bringmann. „Die jungen Leuten haben hier viel Gutes getan, und Spaß gehört dazu.“ Es sei möglich, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen. Ein Lachen zu unterdrücken, weil man sich auf dem Boden eines ehemaligen Konzentrationslagers befinde, sei „ ja das Letzte“.