„Konzerne wollen mindestens 30 Prozent Gewinn“, sagt Frank Iwer

Der Mercedes-Streit zeigt: Unternehmer interessieren sich deutlich weniger als früher für den sozialen Ausgleich

taz: Mit der Drohung, Arbeitsplätze nach Bremen oder Südafrika zu verlagern, versucht Mercedes-Benz die Lohnkosten in Stuttgart zu drücken. Ist das betriebswirtschaftlich denn notwendig, oder nutzt DaimlerChrysler nur eine politisch günstige Lage aus?

Frank Iwer: Es ist gerade modern im Unternehmerlager, die Verteilung der Einkommen zwischen Firma und Belegschaft neu bestimmen zu wollen. Siemens hat unlängst mit der unbezahlten Erhöhung der Arbeitszeit den Vorreiter gespielt. DaimlerChrysler zieht jetzt nach.

Wieso ist das augenblicklich möglich?

Weil die öffentliche Diskussion unsinnigerweise im Zeichen der Betriebswirtschaft steht. Es erscheint mittlerweile einleuchtend, dass Sparen gut ist. Dabei werden oft fundamentale volkswirtschaftliche Zusammenhänge missachtet, aber auch betriebswirtschaftliche Fakten verschleiert.

Nicht nur bei Mercedes-Benz frappiert der Gegensatz zwischen durchaus vorhandenen Gewinnen und der internationalen Konkurrenzfähigkeit einerseits und der Behauptung, die Produktion sei nicht profitabel genug.

Seit Mitte der 1990er-Jahre haben sich zwei neue Konzepte durchgesetzt: In der Außendarstellung der Unternehmen der Shareholdervalue, also das Bestreben, den Aktienwert zu erhöhen. Intern gibt es Vorgaben für die Mindestverzinsung des eingesetzten Kapitals.

Das müssen Sie uns erklären.

Vereinfacht gesagt, soll eine Investition im Unternehmen mindestens den Gewinn bringen, der sich mit derselben Summe durch Wertpapierspekulation erzielen ließe. Bei DaimlerChrysler wird diese Größe „Kapitalkosten“ genannt. Der Konzern will intern eine Mindestverzinsung von 12,5 Prozent erzielen. Eine Investition von 10.000 Euro muss mindestens 1.250 Euro Verzinsung versprechen.

Was kommt unter dem Strich für das Unternehmen heraus?

Für Daimler kann ich das nicht genau sagen. Bei vergleichbaren Unternehmen läge der Gewinn vor Steuern im Verhältnis zum eingesetzten Eigenkapital in der Größenordnung von 30 Prozent. Das strebt auch DaimlerChrysler an – wohlgemerkt als Untergrenze.

Ist das nicht eine horrende Gewinnmarge?

Das könnte man so sagen.

Vor Jahren waren die Großbanken noch mit 18 Prozent zufrieden. Steigt die Gewinnerwartung der Konzerne?

Den Wünschen sind gegenwärtig keine Grenzen gesetzt. Und es sind gerade die Unternehmen, die schon eine sehr gute Position auf dem Markt haben, die diese Politik betreiben – nicht die kleinen, halb bankrotten Zulieferer. Betriebswirtschaftlich notwendig wäre das nicht. Der deutsche Maschinenbau war zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren Weltmarkt- und Technologieführer mit einer Umsatzrendite von durchschnittlich 3,5 Prozent. Das hat damals offenbar ausgereicht – heute sieht man das anders.

Bedeutet die Radikalität dieses Konzepts einen Bruch mit der Sozialpartnerschaft zwischen Unternehmern und Gewerkschaften?

Es entsteht eine neue Unternehmenskultur, die den sozialen Ausgleich deutlich geringer bewertet als bisher.

Kann man denn mit frustrierten Belegschaften qualitativ hochwertige Produkte herstellen, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind?

Auf die Dauer nicht. Das ist das Risiko der Kapitalseite bei dem aktuellen Aushandlungsprozess. Die Luxusmarke Mercedes-Benz kann es sich eigentlich nicht leisten, dass sie Akzeptanzprobleme in der Belegschaft bekommt, die zu fehlerhafter Arbeit führen. Das weiß auch die Unternehmensleitung – weshalb überhaupt nur Verhandlungen mit dem Betriebsrat stattfinden.

Wäre es gerechtfertigt, wenn Extrazahlungen wie Zuschläge ab 12 Uhr mittags oder besondere Pausenregelungen in Sindelfingen abgeschafft werden?

Die gute Bezahlung bildet auch die hohen Lebenshaltungskosten im Raum Stuttgart ab. Es ist deshalb nicht lauter, wenn die Konzernleitung die niedrigeren Löhne im Werk Bremen ins Feld führt. Die Mieten in Stuttgart bleiben ja trotz schlechterer Bezahlung hoch.

In der öffentlichen Diskussion steht der Betriebsrat aber dumm da, wenn er Spätzuschläge rechtfertigt, die schon mittags gezahlt werden.

Man kann natürlich sagen: Wenn in anderen Unternehmen die Bedingungen schlechter werden, ist es kein Wunder, dass auch die gut versorgten Mercedes-Arbeiter Einbußen erleiden.

Ihr Institut betreibt Regionalentwicklung. Ist es aus diesem Blickwinkel nicht begrüßenswert, dass eine reiche Region wie Stuttgart Produktion und Wohlstand an eine arme Gegend wie Bremen abgibt?

Auf den ersten Blick ist das interessant. Auf den zweiten Blick geht es dem Konzern aber nicht um einen fairen Ausgleich. Das wäre ein vorgeschobenes Argument. DaimlerChrysler will regionale Disparitäten ausnutzen, um den Gewinn zu steigern.

Welche Verantwortung trägt die rot-grüne Bundesregierung, hat die Agenda 2010 den Hintergrund für die Offensive der Unternehmen geschaffen?

Mit seiner Agenda-Rede von 2003 hat Bundeskanzler Gerhard Schröder die Betriebswirtschaft zur obersten gesellschaftlichen Maxime erhoben. Das hat den Prozess beschleunigt, den wir jetzt erleben.

INTERVIEW: HANNES KOCH