Unterschriften für die Regierung

In Tschechien sollen sich die sozialdemokratischen Abgeordneten zur Treue gegenüber dem designierten Premier verpflichten. Denn die Mehrheit wackelt

PRAG taz ■ Eine gar merkwürdige Unterschriftenaktion hat der frisch gebackene Chef der tschechischen Sozialdemokraten (ČSSD) und designierte Ministerpräsident, Stanislav Gross, gestartet: Alle 70 Abgeordneten seiner Partei sollen mit ihrem Namen für uneingeschränkte Regierungstreue bürgen. Gross, der nach dem Rücktritt von Vladimír Spidla als Partei- und Regierungschef am 26. Juni dessen Ämter übernommen hat, will damit die fragile Mehrheit sicherstellen.

Die befindet sich seit Spidlas Abgang im freien Fall. In der ČSSD macht sich Unwillen breit. „Ich unterschreibe nicht, bevor ich nicht das Programm der nächsten Regierung kenne“, trotzte Exaußenminister Jan Kavan. Sein Genosse Miroslav Svoboda wurde noch deutlicher: „Ich bin doch kein Abstimmungsaffe“, sagte er.

Gross, 34, ist im Zugzwang. Der Karrierepolitiker, beliebt beim Volk und berüchtigt als talentierter Ränkeschmieder, wurde vergangene Woche von Präsident Klaus beauftragt, eine neue, regierungsfähige Mehrheit für die schwächelnde Koalition aus Sozial- und Christdemokraten sowie der liberalen Freiheitsunion zu finden. Letztere hat sich nach ihrem Debakel bei den Europawahlen Anfang Juni mehr oder weniger selbst aufgelöst.

Nur dadurch dass einer ihrer Abgeordneten sein Parlamentsmandat gleichzeitig mit dem Parteibuch abgegeben und Platz für einen loyalen Nachrücker gemacht hat, kann sich die bisherige Koalition überhaupt halten. Und gerade das war lange nicht sicher. Um die Sozialdemokraten an der Macht zu halten, war Gross alles recht. In Kauf hätte er auch eine Minderheitsregierung genommen. Die wäre für ihr Überleben aber von Wohlwollen der kommunistischen Partei, der drittstärksten Parlamentsfraktion, abhängig gewesen.

Was im Jahre 15 nach der Wende vielen Tschechen als Albtraum erscheint, sahen viele Sozialdemokraten als beste Lösung der Krise. Klaus sei auch mit Hilfe kommunistischer Stimmen zum Präsidenten gemacht worden und deshalb singe man auf der Prager Burg trotzdem nicht die Internationale, hieß es.

Die oppositionelle Bürgerpartei ODS spekuliert indes auf Neuwahlen. Kein Wunder – bei Umfragewerten von über 40 Prozent kann sie damit rechnen, dann mit der Regierungsbildung betraut zu werden.

Für Stanislav Gross würde dies das vorläufige Ende seiner steilen politischen Karriere bedeuten. Wenn nicht sogar das Ende der tschechischen Sozialdemokratie. Die hat sich durch eine lasche Politik, innerparteiliche Streitereien und unpopuläre Reformen beim Volk äußerst unbeliebt gemacht. Die Rechnung wurde ihr bei den Europawahlen präsentiert, als die ČSSD mit einem Stimmanteil von 8,78 Prozent die Schlappe einfuhr, die die derzeitige Krise auslöste.

Auch wenn die Koalition ihre fragile Mehrheit erhalten kann, ist sie noch nicht gerettet. Am Montag traf sich Gross mit dem Vorsitzenden der Christdemokraten, Miroslav Kalouek und dem Chef der Freiheitsunion, Pavel Nìmec, um ein neues Regierungsprogramm auszuhandeln. Wirklich ernst wird es erst, wenn die drei Parteibosse einen neuen Koalitionsvertrag unterschreiben werden, meint die Tageszeitung MF Dnes.

Vor allem die Christdemokraten trauen der ČSSD nicht über den Weg, ihr aber zu, sie mit Hilfe der Kommunisten bei erstbester Gelegenheit zu überstimmen. Zwischen den Koalitionspartnern aber auch in der Sozialdemokraten herrscht Unstimmigkeit über Reformen, wie Steuererhöhungen oder die Regulierung von Mieten. Mit der Unterschriftensammlung will Gross die Befürchtungen der Christdemokraten aus dem Weg räumen. Ob er die Regierung retten kann, ist fraglich.

ULRIKE BRAUN