Machtkampf bei Mercedes beginnt

DaimlerChrysler droht, 6.000 Jobs von Sindelfingen nach Bremen oder Südafrika zu verlagern. Alternative: Die Beschäftigen sparen sich beispielsweise die Pinkelpause. Dabei geht es dem Konzern gut. Aber „die Sitten verrohen“, meint die Gewerkschaft

VON KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Die „baden-württembergische Krankheit“ müsse „beseitigt“ werden, konstatierte Jürgen Hubbert, im Vorstand der DaimlerChrysler AG zuständig für den Produktionsbereich Pkw. Die baden-württembergische Krankheit? Für Hubbert sind das die speziellen Tarifvertragsregelungen im Südwesten der Republik. Zum Beispiel die vom ehemaligen IG-Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler: pro Arbeitsstunde gibt es eine „Pinkelpause“ von fünf Minuten. Damit soll jetzt Schluss sein. Der Machtkampf mit den Arbeitnehmern beginnt.

Wegen der „Pinkelpause“ hatte Steinkühler 1973 gar zum Streik aufgerufen – und die Konzernleitung knickte ein. Später kam dann eine Spätschichtzulage hinzu in Höhe von 20 Prozent – schon ab 12 Uhr mittags. 30 Prozent mehr Lohn gibt es als Nachtzuschlag ab 19 Uhr. Zudem gewährt Mercedes noch Zuschüsse für die „Häusle bauenden“ Mitarbeiter und die Finanzierung von Kuren, wenn dafür Urlaub genommen wird. Alles zusammen macht das für den Standort Stuttgart zusätzliche Aufwendungen von satten 500 Millionen Euro, rechnete Hubbert vor.

Der Vorstand droht nun mit der Verlagerung der Produktion der neuen C-Klasse nach Bremen und nach Südafrika, falls sich der Betriebsrat im Werk Sindelfingen im Zuge der Umsetzung des „Entgeltrahmentarifvertrags“ gegen weitere Einsparmaßnahmen sperren sollte. Verzichtet haben die Beschäftigten bereits auf 180 Millionen Euro. „Fehlen noch 320 Millionen Euro“, so der knappe Kommentar von Hubbert. Den Betriebsräten hielt er vor, dass am Standort Bremen in der Woche 31,9 Stunden „effektiv gearbeitet“ werde, in Sindelfingen aber nur 30,3 Stunden. In diesem Zusammenhang verwies Hubbert auch auf zwei Feiertage mehr in Baden-Württemberg im Vergleich mit dem Stadtstaat an der Weser.

Hubbert und auch Konzernchef Jürgen E. Schrempp hatten die Belegschaftsvertreter schon am Montag gehörig unter Druck gesetzt: Es gebe einen „festen Anlauftermin“ für die Produktion der neuen C-Klasse. Und deshalb müsse der Betriebsrat bis Ende des laufenden Monats seine Zustimmung signalisieren, eine halbe Milliarde Euro einzusparen. Vor allem soll die „effektive Arbeitszeit“ auf 33 Wochenstunden erhöht werden. Wenn nicht, bekomme das Werk in Bremen mit seinem strukturschwachen Umland den Zuschlag. 1.200 Autos der neuen C-Klasse könnten dort täglich gebaut werden. Und im Werk in East London in Südafrika die restlichen 300 der Produktionsplanung für Stuttgart. Bislang wurden in East London schon täglich 200 Pkws der auslaufenden C-Klasse gebaut; mit dem Lenkrad rechts für Afrika und Südamerika.

In Bremen würde man sich über die rund 6.000 neuen aus Stuttgart ausgelagerten Arbeitsplätze freuen. Im Land Bremen ist die Arbeitslosigkeit mit 14,4 Prozent für westdeutsche Verhältnisse extrem hoch. Die IG Metall Küste warnte allerdings schon vor dem „Ausspielen der Belegschaften gegeneinander“. Um „gemeinsame Strategien“ zu diskutieren, trafen sich gestern Betriebsräte aus Stuttgart und Bremen auf „neutralem“ Boden in Hamburg.

Die Betriebsräte in Stuttgart werfen der Konzernleitung vor, die Belegschaft „ohne Not“ erpressen zu wollen. Gerade im Pkw-Bereich habe der multinationale Konzern im vergangenen Jahr doch „satte Gewinne“ eingefahren. Die Konzernleitung bestreitet das nicht. Beim Absatz habe es aber im ersten Halbjahr 2004 „Einbrüche“ gegeben (minus 3,4 Prozent). Der neue Smart ist aktuell allerdings ein Renner. Und bei Chrysler in den Staaten boomt das Geschäft.

Jörg Hofmann, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg in Stuttgart warf Hubbert und Schrempp die „Verrohung der Sitten“ vor. Der Betriebsrat in Stuttgart jedenfalls forderte die Beschäftigten an allen Produktionsstandorten in Deutschland für den kommenden Donnerstag zu „sichtbaren Aktionen“ auf. Ob sich die Kollegen in Bremen daran beteiligen werden?

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