: Odyssee im Webtraum
Als das Geld nicht mehr vom „Fauzeh“ kam, wurde Gratis-Caipi durch Bezahlbier ersetzt: Der Journalist Constantin Gillies hat eine Sicherheitskopie über die wilden Jahre der Dotcom-Ära angelegt
von JUDITH LUIG
In Zeiten wie diesen ist es zugegebenermaßen großer Mist Gillies zu heißen und Journalist zu sein. Man kann sich das leicht vorstellen: „Wie war Ihr Name?“, fragt der Interviewte. „ Gillies.“ – „Wie?“ – „G-I-doppel L -I-E-S.“ – „Ach, so wie Illies nur mit G vorne.“ – „Genau“ Ein Epigone mit G. Toll.
Beide Thirtysomethings sind übrigens Typ gebügelte Hemdenträger und haben an der konservativen Bonner Uni studiert: Florian Illies Schöngeistiges, Constantin Gillies Volkswirtschaft. Und Gillies hat es auch eine ganze Zeit lang genervt, „Generation Golf“ nicht selbst geschrieben zu haben. Doch jetzt hat der Bonner zum Gegenschlag ausgeholt. Im August ist sein eigenes Generationsgefühlsbuch erschienen: „Wie wir waren. Die wilden Jahre der Web-Generation“ – eine Retrospektive auf den Spirit der Dotcom-Ära und kein bisschen epigonal.
High-Speed-Tretroller
Für seine Chronik über Aufstieg und Fall der Netzgiganten hat sich Gillies das Prinzip Anekdote zu eigen gemacht. „Wie wir waren“ beginnt mit der Stunde null des Netzes: Charley Kline schickt Daten aus Los Angeles an einen Kommilitonen in San Francisco. „Dass sie gerade im Begriff sind, Geschichte zu schreiben, ahnen die Studenten nicht (sonst hätte sich Kline wahrscheinlich gemerkt, wie sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung hieß)“. Von da an folgen eine ganze Menge Heldenporträts und Erfolgsgeschichten der jungen Webwilden, die sich vor allem um 1999 und das gefürchtete Millenniumsjahr ranken: Jungunternehmer zwischen 17 und 20, die den Ravegedanken aufs Berufsleben übertragen, Chefs in Bowlingschuhen, Firmen mit Kickrollern und Kickertischen als Grundausrüstung und natürlich alles im High-Speed. „Wir putschten gegen das Establishment des ehemaligen Anti-Establishments, die uns in Schule, Studium und Schwimmvereinen mit ihrem Sozigetue so genervt haben.“
Constantin Gillies spricht mit Youngsters ohne großen Hintergrund, die zu Startzeiten des Internethypes auf den Markt geschleudert werden und da eine New Economy schaffen. Eine, die völlig anders sein wollte als die etablierte alte Wirtschaft aber sich dann doch, als das Geld zu rollen begann, die Insignien der Old Economy aneignete: Conquerer-Briefpapier mit Wasserzeichen oder USM-Haller-Büromöbel, „diese grausligen schwarzen Blöcke mit Chromrändern“.
Auch die Sprache der Internetwirtschaft orientiert sich am Slang der Unternehmensberater und Marketingmenschen. „Ja, die Wahrheit war traurig: Wir begannen alle so zu reden wie jene, die schon immer ‚Flieger‘ statt ‚Flugzeug‘ gesagt haben.“ Geld kam natürlich auch nicht aus dem Bankautomaten, sondern vom VC, dem Venture Capitalist. „Wer cool war, sprach das übrigens typische stoisch deutsch ‚Fauzeh‘ aus.“
Gillies glorifiziert die „Cool Economy“ und ihre Protagonisten was das Zeug hält und senkt dann radikal auf den Crashkurs ab. Der Touchdown von Start-up.
Plötzlich wurden auf den Partys nicht mehr Kanapees aufgefahren, sondern bestenfalls Laugenbrezeln. „Gratis-Chablis und -Caipis verschwanden und wurden durch Bezahlbier ersetzt.“ Doch auch wenn es vorbei ist, Gillies prophezeit: „Die Werte der Wildwirtschaft bestimmen künftig die Weltwirtschaft. Nichts wird so sein, wie es war.“
Die Grundtugenden des Journalisten hat Gillies dankenswerterweise auch als Autor nicht vergessen: Sein Buch ist gut recherchiert, auch für Nicht-Geeks verständlich, und schön geschrieben ist es außerdem. Als „Wie wir waren“ fertig war, hat Gillies übrigens eine Mail an Florian Illies geschrieben. Damit der auch mal etwas Schönes zu lesen hat.
Constantin Gillies: „Wie wir waren. Die die wilden Jahre der Web-Generation“. Wiley VCH, 2003, 279 Seiten, 19,90 €
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