Italien schlägt gnadenlos zurück

Die Behörden wollen an den drei immer noch inhaftierten Cap-Anamur-Aktivisten ein Exempel statuieren, das alle Wiederholungstäter abschreckt

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Eine „humanitäre Lösung“ der Cap-Anamur-Krise hatte die italienische Regierung versprochen – als das Schiff noch auf See war. Aber Kapitän Stefan Schmidt, Cap-Anamur-Chef Elias Bierdel und der Erste Offizier Vladimir Daschkewitsch sitzen immer noch im Gefängnis ein. Die drei Cap-Anamur-Leute haben bisher nicht einmal ihren Anwalt Salvatore Della Rosa sprechen dürfen. Dies bestätigte der Anwalt, der selbst mit an Bord der Cap Anamur war, gestern der taz. Er rechne damit, seine Mandaten erst am Donnerstag bei Haftprüfung zu sehen.

Auch die 37 Flüchtlinge befinden sich hinter Gittern – im Ausländer-Abschiebelager von Agrigent. Die Cap Anamur liegt an der Kette, beschlagnahmt von den italienischen Behörden. Selbst dem grünen Abgeordneten Lino Micciché vom Regionalparlament Siziliens wurde der Zugang zum Abschiebelager verweigert. Micciché berichtete, dass das Innenministerium habe dem eigentlich gesetzlich zuständigen örtlichen Präfekten das Kommando über das Lager entzogen und direkt dem Minister Guiseppe Pisanu unterstellt habe. Der will offenbar durch der Behandlung der Flüchtlinge ebenso wie der drei festgenommenen Helfer als von der Außenwelt abgeschottete Schwerverbrecher ein Exempel statuieren.

Dabei schien sich der Innenminister zunächst eines Besseren besonnen zu haben und seine harte Verweigerungshaltung aufzugeben: Das Schiff mit den Flüchtlingen an Bord durfte am Montag endlich an den Kai des sizilianischen Hafens Porto Empedocle. Schmidt und Bierdel standen sichtlich gerührt an der Reling. Ein Grüppchen von Demonstranten begrüßte sie mit einem Transparent, „keine Gefängnisse, keine Grenzen“, und Schmidt bedankte sich freundlich über Megafon; dabei kündigte er ein „Friedensfest“ an Bord der Cap Anamur an.

Aus der Party wird vorläufig nichts. Denn die Polizei hatte einen allzu klaren Auftrag. Eben keine „humanitäre Lösung“, sondern eine Behandlung von Flüchtlingen und Helfern, die eventuellen Nachahmern jede Lust auf eine Wiederholung nimmt. „Jetzt schreiben wir die Fortsetzung der Geschichte“, zitiert die römische Tageszeitung La Repubblica einen Beamten des Innenministeriums in Rom. Der Plot ist simpel: Das Imperium schlägt zurück – mit dem Hauptargument, dass die Gegenseite ja selbst mit fertigem Drehbuch in See gestochen sei.

Einen „Präzedenzfall“ nämlich habe die Cap Anamur schaffen wollen mit der Demonstration, dass sie trotz des rigiden italienischen Ausländerrechts doch imstande war, illegale Immigranten in einem italienischen Hafen an Land zu setzen. Nun mag es durchaus sein, dass auch die Cap Anamur noch einige Erklärungen zur Dynamik der Flüchtlingsodyssee in den Gewässern zwischen Sizilien und Malta schuldet. Doch die allzu flotte Reaktion des italienischen Innenministeriums mutet an wie ein rabiater Rachefeldzug.

Das fängt an mit den in Rom überraschend schnell gewonnenen Gewissheiten über die Affäre. Bisher war immer von 37 Sudanesen die Rede, die auf dem Schiff gewesen seien. Sudan: das ist Darfur, das ist Bürgerkrieg, Hungersnot, Massensterben – das sind Leute, die man schwerlich abweisen kann. Also gab das Innenministerium sehr schnell – die Afrikaner waren gerade erst von Bord gegangen – die Parole aus: Das sind gar keine Sudanesen, sondern sie stammen „aus Nigeria und Ghana“. Worauf dieser Blitzentscheid gründete, blieb allerdings ein Geheimnis der Ministerialen, die keinerlei konkreten Beleg für ihre Behauptung anführten.

Folge für die Aufgenommenen: Sie wurden in ein „temporäres Aufnahmelager“ geschafft, sprich in eine Abschiebe-Haftanstalt. Pater Cosimo Spadavecchia von den kombonianischen Missionaren, der drei Tage an Bord war, hat eine andere Version von der Herkunft; er berichtet, 34 der 37 Flüchtlingen stammten sehr wohl aus dem Sudan.

Nun ist es kein Verbrechen, Menschen aus Seenot zu retten, selbst wenn sie nicht aus dem Sudan stammen. Also wird dem Kapitän vorgeworfen, er habe die Flüchtlinge auf Malta ausladen müssen; zugleich werden Zweifel daran gestreut, dass die 37 überhaupt – wie von der Cap Anamur berichtet – von einem Schlauchboot 90 Kilometer vor Lampedusa aufgegriffen wurden.

Mit der Inhaftierung der drei Cap-Anamur-Mitarbeiter hat die italienische Regierung ihrerseits einen Präzedenzfall geschaffen: Noch nie wurde bisher jemand in Italien eingebuchtet, der geltend machte, er habe Menschen aus Seenot gerettet. Italiens Justizminister Roberto Castelli von der Lega Nord wird sich darüber freuen, hatte er doch den Landgang der Afrikaner getönt: „Der Vorgang schafft einen Präzedenzfall, der verheerend wirken kann; wir zeigen aller Welt, dass wir unsere Grenzen nicht schützen können und jeder rein kann, wie es ihm beliebt.“

Einen Erfolg kann Innenminister Pisanu aber jetzt schon verbuchen: Angesichts der zähen Prozeduren bei italienischen Gerichten wird es womöglich Monate dauern, bis der Beschlagnahme der Cap Anamur wieder aufgehoben wird und das Hilfsschiff erneut Bootsflüchtlinge einsammeln kann.