„Sobald es geht, bin ich weg“

25 Studenten von der Universität Lüneburg, die sich nicht mehr mit der stark theorielastigen Lehre zufrieden geben wollten, haben auf eigene Faust für kommenden Sonnabend das erste „Lunatic“-Festival organisiert. Ein Gespräch mit Initiator Thore Debor

„Man muss einfach mal ein Zeichen setzen“„Das hier ist meine größte Magisterprüfung“

von Maren Albertsen

„Mr. Lunatic“ kommt einfach nicht zur Ruhe. Gerade erst hat er in seinem WG-Zimmer ein paar Klamotten von einem alten Kinosessel gefegt, um sich gemütlich hinzusetzen und den ersten Schluck Kaffee zu genießen, da kommt schon wieder ein Anruf. Dieses Mal ist es nur für den Mitbewohner. Die nächsten Minuten bleibt das Telefon still, aber man merkt Thore Debor trotzdem eine gewisse Anspannung an. Wahrscheinlich hat er die während der letzten neun Monate nie ganz abgelegt. Neun Monate, in denen er mit 25 weiteren Studierenden des Fachbereichs Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg aus dem Nichts ein komplettes Open-Air-Festival organisiert hat.

„Dass es jetzt nächsten Samstag tatsächlich stattfindet, ist schon sehr strange“, meint er und schüttelt den Kopf, als hätte er es selbst noch nicht ganz begriffen. Gesundheitlich ist er etwas angeschlagen, und auch der Schlafmangel ist nicht zu übersehen. Doch spätestens wenn Debor enthusiastisch über „sein“ Lunatic-Event redet, sind diese Folgeerscheinungen des Dauerstresses vergessen.

Ein praktisch veranlagter Mensch war Thore Debor schon immer. Dank eines früheren Jobs bei der Expo und einer Ausbildung zum Event-Manager konnte er auch genügend Fachwissen einbringen, als seine Visionen für ein Festival auf dem Lüneburger Campus im letzten Sommer konkreter wurden. „Natürlich stellen sich die meisten unter Lüneburg das Ultra-Provinznest vor. Auch deswegen wollten wir es ja gerade hier machen und das Gegenteil beweisen.“

Mit im Organisations-Team waren 25 weitere Studierende, die neben den praxisfernen Musikseminaren Alternativen suchten. Ob Erstsemester oder kurz vor der Abschlussprüfung, die „geil irre Mische an Leuten“ wurde von Anfang an ins kalte Wasser gestoßen und musste sich alles selber erarbeiten – ob es um die technische Leitung, die Pressearbeit oder die Infrastruktur ging.

Voll Tatendrang machten sich alle an die Arbeit – obwohl für die Organisatoren am Ende kein finanzieller Gewinn herauskommen wird. „Man glaubt ja gar nicht, was so ein Festival kostet!“ Außerdem geht an diesem Samstag von jeder verkauften Eintrittskarte ein Euro an ein Unicef-Bildungsprojekt in Afghanistan. Sollte gar ein Überschuss erwirtschaftet werden, wollen sie weitere Einrichtungen unterstützen. Es klingt bodenständig und nicht eitel, wenn Debor darauf hinweist, dass man mit ehrenamtlicher Arbeit auch „einfach mal ein Zeichen setzen muss“. Für die Studierenden war vor allem wichtig, in der Organisationsphase Kontakte zu knüpfen und Erfahrungen zu sammeln, die ihnen bei späteren Bewerbungen zugute kommen könnten.

Doch trotz des großen Engagements aller Beteiligten gab es im Vorfeld des Festivals auch Probleme. Allein die Namensfindung zum Beispiel erwies sich als kompliziert. 26 Stimmen, das brachte in diesem Fall über 40 Vorschläge. ‚Luna‘ in der engeren Auswahl sollte an eine alte Bezeichnung Lüneburgs erinnern, das ‚tic‘ hintendran machte es moderner. „Erst später haben wir herausgefunden, dass es den Begriff im Englischen gibt und übersetzt ‚wahnsinnig, verrückt‘ heißt“, erzählt Debor. „Das passt doch prima!“

Gerade in der Anfangsphase nämlich hatten Außenstehende die Pläne der Studierenden tatsächlich für wahnsinnig gehalten. „Das schafft ihr nie!“ hieß es dann. „Und nun“, sagt Debor stolz, „ist die Genugtuung groß, dass wir es eben doch geschafft haben.“ Wie die Lüneburger das Festival annehmen werden, wird sich noch zeigen. „ Na ja, die sollen hier einfach einen Tag lang in ihrer Stadt, auf ihrem Campus Spaß haben. Die Bands sind da eigentlich Nebensache.“

Mit den Worten „träumt ruhig mal, wen ihr haben wollt“, hatte er seine Mitstreiter aufgefordert, als sich die Frage stellte, welche Gruppen man denn einladen sollte. So stand zu Beginn auch Radiohead auf der Wunschliste. In diesem Fall blieb es beim Traum, aber mit dem jetzigen Line-Up sind alle zufrieden. Kid Alex, Brazilectro und Silly Walks haben zugesagt – anerkannte Größen allesamt. „Und Puppetmastaz konnten wir direkt von Roskilde nach Lüneburg holen.“ Debor betont das ‚Wir‘, doch der Spitzname „Mr. Lunatic“ verrät: Er ist der Hauptorganisator. Wie zum Beweis klingelt erneut das Telefon. Es geht um ein Parkplatzproblem. Und wie viele Künstler waren es noch mal genau, die versorgt werden müssen? Kaum hat er aufgelegt, da klingelt es wieder. „Hey, es ist doch Wochenende“, ruft Debor halb vorwurfsvoll in den Hörer. Dann lauscht er und grinst. „Hast Recht, bei uns gibt es ja keinen Sonntag.“

Gleich muss er los, im Regen Richtung Uni, um noch etwas für Samstag zu klären – natürlich. Ein bisschen froh ist er schon, wenn das alles überstanden ist, und „man nicht mehr nur auf das Festival reduziert wird“. Doch ob es ein zweites „Lunatic“ gibt oder ein Vereinshaus gegründet wird – neue Ideen und Aufgaben gibt es bereits. So haben sich die Studierenden im gemeinnützigen „Lunatic e.V.“ zusammengeschlossen, der ein Netzwerk für Kulturwissenschaftler im Bereich Musik bilden will. Das eigentliche Studium wird also wieder vernachlässigt? „Oh“, sagt Debor abwehrend, „wir haben ja nicht ganz mit dem Studieren aufgehört. Einige haben nebenbei sogar ihre Zwischenprüfungen gemacht.“

Trotzdem macht Debor keinen Hehl daraus, dass die Uni für ihn höchstens an zweiter Stelle steht: „Wenn sich die Möglichkeit ergibt, bin ich sofort weg. Ich weiß jetzt ja, ich kann‘s auch so.“ Ein richtiger Abschluss ist für ihn unwichtig, da gibt er sich selbstbewusst: „Das hier war schließlich meine größte Magisterprüfung.“

Lunatic-Festival, Sa. 17.7., Beginn 14 Uhr, Aftershow ab 23 Uhr, Infos zu Tickets und Anfahrt unter www.lunatic-festival.de