Der Realismus ist ein Effekt: Viscontis „Die Erde bebt“ im Metropolis
: Ein Nachkriegs-Marxist auf Sizilien

Dogmen hatten sie sich zwar nicht auferlegt, die Regisseure des italienischen Neorealismus mit Rossellini, Visconti und De Sica an der Spitze, aber Prinzipien hatten sie natürlich schon, als sie sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs anschickten, dem Kino eine neue Richtung zu geben. Um sich so weit wie nur irgend möglich vom faschistischen Kino der „weißen Telefone“ abzusetzen, drehten sie an Originalschauplätzen bei natürlichem Licht vorzugsweise mit Laiendarstellern und zerlegten ihre Geschichten immer wieder in Episoden. Es entstand eine Art Realitätskult, der eine Tradition begründete, in der ganz unzweifelhaft auch die dänischen Dogmatiker stehen.

Als Versuch, im Kino bis dahin nicht gesehene Alltagsrealität auf die Leinwand zu bringen, stellt La terra trema von 1948 das wohl ehrgeizigste Beispiel seiner Zeit dar. Ursprünglich nach Sizilien gekommen, um einen kurzen Dokumentarfilm zu drehen, wurde Luchino Viscontis zweiter Film (sein Debüt Ossessione war noch während des Krieges entstanden) schließlich der erste Teil eines nie vollendeten dreiteiligen Großprojekts über das Leben der ausgebeuteten Menschen Siziliens. Ausgiebig zeigt der Film den harten Alltag von Fischern, von denen sich zwei Brüder – die sich praktisch selbst spielen und ihre Dialoge weitgehend selbst improvisierten – irgendwann selbständig machen, um nicht länger von den Großhändlern abhängig zu sein; sich damit jedoch auch auf folgenschwere Risiken einlassen. Auf den kurzen sozialen Aufstieg der Familie folgt ein umso tieferer Fall, den Visconti in allen Facetten ausleuchtet.

Zwar greift Visconti auf die festen Umrisse einer Geschichte (als Vorlage diente ein Roman von Giovanni Verga) zurück, er vermeidet es jedoch weitgehend, seine bemerkenswert tiefenscharfen Schwarzweißbilder dieser Geschichte unterzuordnen. Es sind Bilder, in die der aus einer Aristokraten-Familie stammende Marxist Visconti seine politischen Ansichten – dass sich die Verhältnisse ändern müssen – relativ unmissverständlich eingeschrieben hat. Und so sieht man mit dem zeitlichen Abstand von mehr als einem halben Jahrhundert immer deutlicher, dass der Realismus Viscontis wie alle Kinorealismen davor und danach, so nahe er den konkreten Dingen des alltäglichen Daseins auch kommen mag, vor allem ein Kinoeffekt ist. Eckhard Haschen

Do 19 Uhr + So 17 Uhr, Metropolis