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: Faschismus im Fashion-Center

Wenn die Kategorien in der Damenbekleidung nicht mehr nur „Leisure“, „Evening“ oder „Romance“ heißen, sondern plötzlich so epische Namen wie „Narrative“ oder „Point of View“ tragen, wird es für die Literatur Zeit, zurückzuschlagen. Unter dem Titel „Shopping“ präsentiert die halbjährlich erscheinende Bremer Literaturzeitschrift „Stint“ ihre aktuelle Ausgabe.

Mit Geschichten, Gedichten und theoretischen Texten von jüngeren und etablierten deutschsprachigen Autoren geht „Stint“ dem modernen Leben auf die Spur. Ging es in den vergangenen Heften um Kunst und Kino, so drehen sich die Texte in dieser Ausgabe um das Thema Konsum.

Alles beginnt mit der Suche nach einer Dose Kiehl‘s Mangopaste. Die führt die Protagonisten von Gregor Hens‘ Geschichte nach „Easton, Ohio“. Der Mall der Zukunft ist eine „potemkinsche Einkaufsstadt“ inklusive Rasen und europäisch aussehenden Telefonzellen. Hier wird Alltagsleben simuliert, um den Käufern das richtige Ambiente für ihren Konsumrausch zu bieten. Und während Nils Mohl in „Kasse 53“ das Innenleben eines Verkäufers zur Sprache bringt („ohne intakten Präkortex wäre man an der Kasse wirklich aufgeschmissen“), analysiert Ulrike Draesner das Luxuswarenhaus LaFayette in Berlin als „post-postmodernen Raum“: Die Schaufenster zeigen hier nicht mehr reale Ware, sondern wieder nur andere Schaufenster. Im Zentrum ist Leere.

Aber Shopping kann auch Sinn und soziale Struktur stiften, wie Marcus Hammerschmitt‘s „Brief an den Hersteller“ zeigt. Inmitten eines apokalyptischen Szenarios, in dem Kampfhandlungen Routine sind und Menschen wie Zinnsoldaten abgeknallt werden, gibt es noch Hoffnung – und zwar die, dass die Hersteller der gestörten Waffe „so schnell und kulant auf meine Anfrage reagieren wie bei unseren Nachbarn, deren Granatwerfer neulich defekt war.“

„Shopping“ ist kein Manifest gegen den bösen Konsum. Die Autoren bringen ihre Beobachtungen aus der wunderbaren Warenwelt zu Papier, ohne zu moralisieren. Das Spannende an Shopping ist ja gerade, dass da eigentlich niemand drüber steht. So beschimpft die politisch engagierte Maria in Hens‘ „Easton, Ohio“ zwar den Wachmann als „Kaufhausfaschisten“. Aber am Ende gibt es doch nichts Schöneres als das „ätherische Funkeln“ in ihren Augen, als Kiehl‘s Mangopaste über den Ladentisch geht.

Sibylle Schmidt

Die Literaturzeitung „Stint“ ist für 7,90 € in Buchhandlungen erhältlich.