Die Mühe des Auswahlgesprächs

Die Unis dürfen künftig bis zu 60 Prozent der Studierende selbst auswählen. Doch die bisherigen Wahlmöglichkeiten nutzen sie nicht. Zum Wintersemester zählen allein Abizeugnis oder Wartezeit

VON VERENA HEYDENREICH

Bundestag und Bundesrat sind sich einig: Die Universitäten brauchen mehr Freiheit. Die CDU punktet mit mehr Wettbewerb, die SPD verkauft es als mehr Selbstbestimmung, und Elite wollen alle sowieso. Ab dem Wintersemester 2005/06 dürfen sich die Unis 60 Prozent ihrer Studierenden selbst auswählen, zumindest in den ZVS-Fächern. Bisher hatten die Hochschulen bei maximal 24 Prozent die Qual der Wahl.

Bei den Berliner Universitäten ist die Freude dennoch verhalten. Die Gesetzesnovelle wird zwar einhellig begrüßt, doch ein großes „Aber“ ist nicht zu übersehen. Denn genutzt wird die Möglichkeit bisher kaum. Zum heutigen Bewerbungsschluss steht fast ohne Ausnahme fest: Bei der Zulassung zählt nur die Durchschnittsnote – egal ob bei Fächern mit internem NC oder bei zentraler Vergabe über die ZVS.

An der TU gibt es überhaupt keine alternativen Auswahlverfahren. An der Humboldt-Uni nutzt nur die Charité bei Medizin und Zahnmedizin eine Kombination von Qualifikation und Gespräch. Die Freie Universität wählt in Wirtschaftswissenschaften, Tiermedizin und Politikwissenschaft auch über Gespräche aus. Die Universität der Künste (UdK) hat die Auswahlgespräche für den Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (GWK) zum kommenden Wintersemester wieder abgeschafft. Erst seit 2002 hatte sie damit experimentiert.

Die Auswahlgespräche machen Mühe und werden daher von den Professoren nicht unbedingt geliebt. Burkhard Danz, Referatsleiter für Studienangelegenheiten an der Charité, erklärt, wie die Auswahl funktioniert. Insgesamt werden in Medizin pro Semester etwa 200 Aufnahmegespräche geführt. Zu den halbstündigen Treffen werden dreimal so viele Bewerber geladen, wie Studienplätze vorhanden sind. „Da jeder Professor andere Vorstellungen vom idealen Medizinstudenten hat, wird bei der Auswahlkommission auf eine bunte Zusammensetzung geachtet“, sagt Danz. „Das ist natürlich ein ganz schöner Aufwand, es müssen ja mindestens zwei Professoren dabei sein.“ Zudem müssen die Gespräche protokolliert werden. Das wollen sich andere Fachbereiche wohl lieber sparen.

Aber auch beim akademischen Nachwuchs kommt die Regelung schlecht an. So misstraut Franziska Roy, hochschulpolitische Referentin der Studierendenvertretung an der HU, den Rufen nach einer neuen Elite. Sie wünscht sich einen uneingeschränkten Zugang zum Studium, und wenn das nicht geht, lieber die Auswahl nach der Abinote. „In Gesprächen geht es teilweise nach den Vorlieben der Profs“, sagt Roy. „Und soziale Unterschiede werden reproduziert.“

Eine andere Klage ist, dass die Auswahlgespräche, so wie sie jetzt funktionieren, sinnlos sind. Tatsächlich bedeuten die Gespräche nämlich nicht, dass bei 24 Prozent der Bewerber die Leistungen in der Schule irrelevant werden. „Kleine Ungerechtigkeiten aus den Abiturzeugnissen können ausgeglichen werden“, erläutert Danz von der Charité. Die Betonung liegt auf „kleine“, Bewerber mit einer schlechten Durchschnittsnote werden gar nicht erst eingeladen. „Richtig“, meint Danz, und nach dem Berliner Hochschulrecht auch gar nicht anders möglich.

Doch genau deswegen hat die UdK die Auswahlgespräche wieder abgeschafft. Rainer Schulze, Verwaltungsbeamter am Institut für GWK, ärgert besonders, dass nur Bewerber mit guten Noten vorsprechen dürfen. „Wir hören uns 36 Bewerber an und wollen 12 nehmen“, erklärt Schulze. „Doch am Ende kommen fast 30 davon rein.“ Denn auch Bewerber, die nach dem Gespräch aussortiert werden, dürfen sich als Nachrücker oft doch noch immatrikulieren. Eine Studentin aus der Politikwissenschaft bestätigt das: „Mein NC war zuerst zu schlecht, und beim Auswahlgespräch konnte ich leider nicht überzeugen. Kurz darauf habe ich aber doch noch eine Zusage bekommen.“ Das Gespräch hätten sie und die Professoren sich also sparen können.

Zumindest ein letztes Argument der Hochschulen wird in Zukunft nicht mehr ziehen. „Bei nur 24 Prozent der Studierenden lohnt sich der ganze Aufwand nicht“, sagt TU-Vizepräsident Jörg Steinbach. Doch ob und wie sich die Auswahlfreudigkeit mit dem neuen Hochschulrahmengesetz ändern wird, bleibt offen. Die genaue Regelung ist Sache des Landes Berlin. Brigitte Reich, Referentin von Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS), sagt: „Als nächsten Schritt werden wir erst mal die Hochschulen fragen, was sie wollen.“ Gute Frage, aber konkrete Pläne gibt es noch nicht. „Die Kompetenz, dezentral auszuwählen, ist auf jeden Fall vorhanden“, so Angela Bittner, Sprecherin der HU. An der UdK überlegt eine interne Kommission, welche Verfahren sinnvoll sein könnten: „Auswahlgespräche sind auf jeden Fall zu einseitig. Man braucht eine Vorauswahl“, sagt Schulze. Und die TU könnte sich auch ein Orientierungsjahr in machen Fächern vorstellen – ausgesiebt wird dann später. Bis dahin gehen die Unis den einfacheren Weg und berücksichtigen nur die Abiturnote.