„Heute streiken wir alle zusammen“

Der Daimler-Chrysler Vorstand versucht die Angestellten in Sindelfingen gegen die in Bremen auszuspielen, um die höheren Lohnkosten im Süden zu drücken. Doch ist dafür die Solidarität der Kollegen an der Weser zu groß – zumindest die der meisten

AUS BREMEN AXEL DOMEYER

Am Tor 7 vor dem Bremer DaimlerChrysler-Werk verteilt die Deutsche Kommunistische Partei Flugblätter. Die vorbeieilenden Arbeiter zeigen wenig Interesse: Es ist halb zehn am Dienstagabend, die meisten wollen so schnell wie möglich nach Hause. Wer trotzdem stehen bleibt, lässt seinem Ärger freien Lauf: „Am Donnerstag wird gestreikt“, sagen sie alle. Nur die Männer von der Anlagenwartung fürchten: „Dann gibt’s eine Abmahnung.“ Wenn sie die Arbeit niederlegen, steht alles still.

Dabei geht es den Bremer Mercedes-Bauern sicher weniger an den Kragen als ihren Kollegen an den Hauptstandorten Sindelfingen und Untertürkheim in Baden-Württemberg. Erst am Montag hatte DaimlerChrysler-Chef Jürgen Hubbert 500 Millionen Euro weniger Personalkosten für alle deutschen Standorte gefordert. Andernfalls werde die neue C-Klasse nicht in Sindelfingen gebaut – sondern in Südafrika und Bremen. An der Weser sind die Lohnkosten niedriger, denn dort gibt es weniger Feiertage und Pausen. Die Jahresarbeitszeit liegt um zwei Wochen über der in Baden-Württemberg, so Personalvorstand Günter Fleig. Außerdem zahle man im Norden weniger Schichtzulagen. Diese „gravierenden Kostennachteile“ wollen Hubbert und Fleig beseitigen.

„Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen und unterstützen die Linie des Gesamtbetriebsrats“, sagt Uwe Werner, stellvertretender Vorsitzender der Bremer Mitarbeitervertretung. Seine Position ist allerdings recht komfortabel: Das derzeitige Angebot des Betriebsrats an die Konzernspitze liegt bei 180 Millionen Euro Kosteneinsparung. Höhere Zugeständnisse haben die Personalvertreter bislang abgelehnt. Bleibt es dabei, müssten die Bremer kurzfristig keine Einsparungen schlucken. Und die C-Klasse kommt ohnehin an die Weser, das ist schon länger beschlossene Sache. Das Bremer Werk hat als zurzeit drittgrößter DaimlerChrysler-Standort nach Sindelfingen und Untertürkheim eine starke Position. 1978 begann die Produktion mit 6.000 Mitarbeitern, heute sind es 15.500.

Die zeigen sich jetzt größtenteils solidarisch mit ihren Sindelfinger Kollegen. Für die besseren Tarifbedingungen in Baden-Württemberg haben sie Verständnis. Schließlich sei dort das Leben auch teurer. „Im Tarifbereich Küste gibt es seit den 50er-Jahren schlechtere Abschlüsse als im Südwesten“, sagt Betriebsrat Werner. Ihn ärgert es nicht, dass die Kollegen im Süden stündlich Pause machen und mehr Zulagen bekommen. Andere finden hingegen kritischere Worte: „Auf einmal kommt der Gesamtbetriebsrat auch nach Bremen – vorher waren die nie da“, schimpft zum Beispiel ein Lackpolierer. Als es in der Vergangenheit um Kürzungen an der Weser ging, habe man keine Rückendeckung aus Sindelfingen erhalten.

Der Zorn über die Konzernspitze ist indes bei allen groß. Schon vor einigen Wochen – da ging es noch nicht um die Verlagerung der Produktionsstandorte – war klar geworden, dass DaimlerChrysler bis 2011 eine weitere halbe Milliarde Euro Personalkosten sparen will. Und das hatte mit den jüngst geforderten 500 Millionen Euro nichts zu tun. Sondern: Der Konzern will bei der Einführung des Entgeltrahmentarifabkommens (ERA) Tätigkeiten in der Produktion anders einstufen. „Das kann für manche bis zu 700 Euro monatlich weniger heißen“, so die Sprecherin des Sindelfinger Betriebsrats. „Bei solchen Einschnitten könnte ich meine Kredite nicht mehr zahlen“, sorgt sich ein Bremer Anlagenwart. Seine Freude über die Konkurrenzfähigkeit seines Werks ist auch begrenzt: „Beim nächsten Mal erpressen sie uns mit Tschechien.“