Preuße, Kuppler und Phantom

Erst Strauß-Intimus, bald Verfassungsschutzchef, Staatssekretär und am Ende Daimler-Manager. Holger Pfahls war für jeden Job zu gebrauchen

VON JÖRG SCHALLENBERG

Er ist einer jener Menschen, denen man schon immer alles zugetraut hat. In jeglicher Hinsicht. Die Karriere des Ludwig-Holger Pfahls verlief nicht steil, sondern lange Zeit eher senkrecht nach oben; der Jurist schaffte es wenigen Jahren in die engsten Zirkel der Macht und bis zum ersten Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Als Pfahls dann wegen Korruptionsvorwürfen untertauchte, vermuteten ihn die Ermittler in mindestens 14 verschiedenen Ländern – und warnten ihre Fahnder nachdrücklich vor dem Gesuchten. Schon 1999, kurz nachdem Pfahls verschwunden war, versandte das Zollkriminalamt den dringenden Hinweis, der Gesuchte sei „vermutlich bewaffnet“. Die Beamten von Polizei und Zoll sollten unbedingt ihre „Eigensicherung beachten“.

Diese Befürchtung hat sich bei der Verhaftung von Pfahls am Dienstag in Paris glücklicherweise nicht bewahrheitet. Dass der möglicherweise meistgesuchte Deutsche nicht abgeschieden auf dem Lande, sondern in einer noblen Wohnung unweit des Eiffelturms logierte, passt wiederum bestens zum spektakulären, nie durchschnittlichen Leben des Ludwig-Holger Pfahls. Am 13. Dezember 1942 wurde er in Luckenwalde bei Berlin geboren, studierte später Jura und begann seine Karriere als Richter am Obersten Bayerischen Landesgericht in München. 1973 wechselte er in die Staatsanwaltschaft, zwei Jahre später als persönlicher Referent des Amtsleiters ins neu geschaffene bayerische Umweltministerium, von dort 1976 in die Staatskanzlei, wiederum bald als persönlicher Referent – dieses Mal allerdings des Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Mit gerade mal Mitte dreißig war der „preußische Beamtentyp“, wie ihn das Bundeskriminalamt später charakterisieren sollte, an der Spitze der politischen Macht in Bayern – und nicht nur da – angekommen. Das Pedantische, Preußische, Nüchterne in Pfahls’ Arbeitsauffassung imponierte dem Ur-Bayern Strauß dabei anscheinend besonders – einen anderen engen Vertrauten jener Jahre, einen gewissen Edmund Stoiber, zeichneten die gleichen Eigenschaften aus. Pfahls, der Anfang der Achtziger das Büro von Strauß leitete und dann die Grundsatzabteilung der Staatskanzlei übernahm, profilierte sich bald als Strippenzieher, der vor allem bei den vielfältigen und oft dubiosen internationalen politischen wie wirtschaftlichen Kontakten von Strauß im Hintergrund wirkte – bisweilen Seite an Seite mit Strauß’ ältestem Sohn Max. Doch es ging weiter voran: 1985 wurde Pfahls Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, 1987 folgte dann, angeblich von Strauß höchstpersönlich angeschoben, der Wechsel als Staatssekretär ins Verteidigungsministerium.

Ludwig-Holger Pfahls, damals 44, war nun Mitglied der Bundesregierung unter Helmut Kohl – und für Rüstungsangelegenheiten zuständig. Doch auf der Hardthöhe, auf der Spitze seiner Karriere als politischer Beamter, wendete sich das Blatt für Pfahls. Wegen der Verwicklung in eine Affäre um geheime Waffenlieferungen von DDR-Panzern an Israel quittierte er 1992 den Staatsdienst und heuerte als Manager beim Daimler-Konzern an, wo er seine weltweiten Drähte gleich weiter nutzen konnte. Schließlich haben die Stuttgarter neben Autos auch Rüstungsgüter im Angebot.

Doch sieben Jahre später holte Pfahls die Vergangenheit ein: Am 22. April 1999 erließ die Augsburger Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen Pfahls. Doch ihm blieb genug Zeit, Deutschland zu verlassen – der Münchner Generalstaatsanwalt Hermann Froschauer weigerte sich zwei Tage lang, den Haftbefehl zu vollstrecken. Dabei waren die Vorwürfe eindeutig: Im September 1991 soll der Waffenhändler und Rüstungslobbyist Karlheinz Schreiber 3,8 Millionen Mark an Ludwig-Holger Pfahls überwiesen haben, die in bewährter Manier auf ein Schweizer Konto mit dem Decknamen „Holgart“ flossen. Das Geld sei eine Provision für den Einsatz des damaligen Staatssekretärs Pfahls bei der Lieferung von 36 Spürpanzern vom Typ „Fuchs“ an Saudi-Arabien gewesen – also handelte es sich um einen Fall von schwerer Bestechung auf höchster politischer Ebene. Pfahls, der sich zunächst in Südostasien aufhielt, wo er als Repräsentant für DaimlerChrysler arbeitete, stritt alle Vorwürfe ab und beschwerte sich von dort aus in mehreren Briefen an einflussreiche Persönlichkeiten in Deutschland über das Vorgehen der Justiz. Eines dieser Schreiben soll, so berichtete der Spiegel damals, an Helmut Kohl gerichtet gewesen sein. Ob Pfahls eine Antwort bekam, ist nicht bekannt. Dafür werden weitere Vorwürfe laut: Auch beim Kauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerien durch den französischen Konzern Elf Aquitaine soll Pfahls seine Finger im Spiel gehabt und womöglich Schmiergeld-Millionen an die CDU oder die Bundesregierung weitergeleitet haben.

Daraufhin taucht Pfahls unter. Am 3. Juli 1999 verliert sich seine Spur nach einem Flug von Taiwan nach Hongkong. Zahlreiche Indizien sprechen dafür, dass ihm der taiwanesische Geheimdienst beim Gang in den Untergrund geholfen hat, möglicherweise als Revanche, weil Pfahls beim günstigen Einkauf moderner Waffensysteme in Deutschland geholfen hat. In den folgenden Jahren avanciert der einstige Spitzenbeamte zum „Phantom“, das von Zielfahndern des BKA rund um den Globus gejagt wird. Im Internet präsentieren die Fahnder eine fantasiereiche Galerie möglicher Tarnungen und beschreiben den Gesuchten liebevoll als „verschlossenen und arroganten Einzelgänger“, der „Davidoffs und Cohibas“ rauche sowie am liebsten „Dorade-Fisch und Zwetschgenkuchen“ esse. Innenminister Otto Schily erklärt die Fahndung zur Chefsache. Dass mögliche Aussagen von Pfahls der CDU Schaden zufügen könnten, dürfte den Jagdeifer dabei noch gestärkt haben. Seine eigene politische Heimat hat das einstige CSU-Mitglied Pfahls allerdings inzwischen verloren. Die Partei hat ihn mittlerweile ausgeschlossen – weil er seine Mitgliedsbeiträge nicht bezahlt hat.