Aufstand der Anständigen

Weil der „Tagesspiegel“ ein Gespräch mit einem Mörder druckte, handelte er sich scharfe Kritik ein

von PETER NOWAK

Magnus Gäfgen ist zurzeit zweifellos eine Person, mit der man Schlagzeilen machen und die Zeitungsauflage in die Höhe treiben kann. Der 28-Jährige wurde Ende Juli wegen der Entführung und Ermordung des Bankierssohns Jakob von Metzler zu einer lebenslangen Haft verurteilt.

Am letzten Donnerstag kam nun der Mann selbst zu Wort, der bisher Stoff für so viele Analysen und Mutmaßungen bot. Der Berliner Tagesspiegel veröffentlichte ein Interview mit Gäfgen. Die Redaktion muss schon geahnt haben, in welches Wespennest sie damit gestochen hat. Schließlich schrieb sie im Vorspann: „Der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer, Hans Bachl, hat dem Tagesspiegel ein schriftliches Interview mit dem Verurteilten genehmigt. Weder Gäfgen noch seine Familie erhalten für das Interview ein Honorar. Wir drucken das Gespräch mit Gäfgen in voller Länge. Die Antworten fordern zum Widerspruch heraus. Bei der Schriftform waren aber spontane Einwände oder Korrekturen an den Aussagen von Jakobs Peiniger nicht möglich. Auch da nicht, wo der Befragte in Larmoyanz und Selbstmitleid ausweicht.“

Tatsächlich ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. „Interview mit einem Mörder“ lautet der Titel einer Meldung zum Gäfgen-Interview in der FAZ vom vergangenen Freitag. Im selben Blatt wird in einem mit dem Kürzel V.Z. für Volker Zastrow gezeichneten Kommentar ein vernichtendes Urteil über den Tagesspiegel gefällt. „Jetzt bringt eine früher einmal anständige Berliner Zeitung, nur um Geld zu verdienen, ein Interview mit dem verurteilten Täter, in dem dieser sich lang und breit über das bittere Leid auslässt, das er nun erdulden müsse …“

Auch die Opferorganisation „Weißer Ring“ sieht in dem Interview mit Magnus Gäfgen „einen herben Schlag ins Gesicht von Gewaltopfern und ihren Angehörigen“. Der Deutsche Presserat erwartet Beschwerden gegen den Tagesspiegel. Zu dem Interview wollte man sich daher nicht äußern. Es wird lediglich auf die Richtlinien des Standeskodex verwiesen. Die sehen vor, dass verurteilten Straftätern keine Plattform zur Rechtfertigung ihrer Taten gegeben werden soll und dass Opfer von Verbrechen und deren Angehörigen nicht „unangemessen belastet“ werden dürfen.

Doch diese für Täter-Memoiren geschaffenen Richtlinien treffen auf den Inhalt des Interviews gar nicht zu. Bei ihrer Empörung sind die Kritiker darauf gar nicht erst eingegangen. Dabei werden dort einige Einschätzungen ausgesprochen, die nicht deshalb falsch sind, weil sie von einem verurteilten Mörder stammen. So kritisiert Gäfgen die Berichterstattung über den Prozess. „Ein Großteil der Medien hat dieses Bild des Monsters dankbar aufgenommen und verbreitet.“ Auch zu der Folterdrohung findet der Jura-Student Gäfgen klare Worte: „Vielleicht habe ich auch kein moralisches Recht, mich über diesen Justizskandal zu beschweren; aber jeder rechtsstaatlich denkende Mensch sollte hier sehr hellhörig werden, welcher Weg hier eingeschlagen wird.“

Damit spricht Gäfgen den schweren Polizeiskandal an, der mit seinem Namen verbunden ist. Der stellvertretende Frankfurter Polizeipräsident Daschner wollte ihn durch die Androhung von Folter zu Aussagen über den Verbleib des entführten Jakob von Metzler zwingen. Als Daschner seine Haltung nachträglich verteidigte, löste er kurzzeitig eine lebhafte Debatte über die Legitimität von Folter aus. Dass jetzt ausgerechnet Gäfgen das schnell verdrängte Thema wieder ansprach, ist wohl ein wichtiger Grund für die harschen Reaktionen. Sie zeigen gleichzeitig, dass der Gedanke der Resozialisierung auch heute noch längst nicht sehr verbreitet ist. Ein Straftäter soll allenfalls als reuiger Sünder um Gnade winseln dürfen. Gäfgen hingegen hat in seinem Interview daran erinnert, dass auch ein Straftäter unveräußerliche Rechte besitzt. Dazu gehört das Folterverbot ebenso wie das Recht, sich gegen eine hetzerische Medienberichterstattung zur Wehr zu setzen.