Einsamer Truck im wilden Osten

Ausgerechnet bei ostdeutschen Mittelständlern will Bundeswirtschaftsminister Clement um Lehrstellen werben

BERLIN taz ■ Seit gestern rollt er wieder, der „Lehrstellen-Truck“. An Bord: Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement. Kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres am 1. Oktober will Clement bei den mittelständischen Unternehmen in Ostdeutschland noch einmal Werbung machen für mehr Ausbildungsplätze. Clement betonte, von den Jugendlichen erwarte er, dass sie die Angebote auch annähmen. „Wer eine Lehrstelle ablehnt, kann nicht mit der Solidarität der Allgemeinheit rechnen“, sagte der SPD-Minister. Die aktuellen Zahlen sehen düster aus: Den 231.000 Jugendlichen, die noch auf Stellensuche sind, stehen gerade mal 83.500 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Rund 60.000 Jugendliche, so die Bundesanstalt für Arbeit, werden letztendlich wohl leer ausgehen.

Doch auch denen, die bereits in Ausbildung sind, geht es an den Kragen. Seit dem 1. August müssen viele Lehrlinge die Hälfte ihrer Sozialbeiträge wieder selber zahlen. Nach nur drei Monaten hat die Bundesregierung die so genannte Geringverdienergrenze für Azubis von 400 auf 325 Euro abgesenkt.

Dass Unternehmer dadurch neue Lehrstellen anbieten könnten, hält Herbert Buscher vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) für Theorie. Lehrlinge würden dadurch zwar „billiger“, aber wo keine Arbeit sei, könne auch keine Lehrstelle entstehen. Warnendes Beispiel sei das als gescheitert geltende Programm „Kapital für Arbeit“. Einen zinsgünstigen Kredit bis zu einer Höhe von 100.000 Euro kann eine Firma, die einen Arbeitslosen einstellt, beantragen. Die Nachfrage in den anvisierten Krisenregionen des Ostens ist äußerst gering. „Ein westliches Konzept, das im Osten funktionieren soll“, erklärt Buscher die Pleite. Die wenigsten Betriebe im Osten könnten überhaupt die hohe geforderte Bonität dazu nachweisen.

Fragwürdig bei der Absenkung der Geringverdienergrenze scheint die Rolle der Gewerkschaften zu sein. Zwar empörte sich Ver.di-Vorstandsmitglied Isolde Kunkel-Weber vergangene Woche darüber, dass die Politik bereits nach drei Monaten dem Druck der Arbeitgeber nachgegeben hätte. Dennoch: Unter die „Gemeinsame Erklärung zur Ausbildungsoffensive“, in der die Regierung Ende April die Senkung der Lohngrenze auf 325 Euro festlegte, setzten auch die Gewerkschaften ihre Unterschrift. Für Wirtschaftsforscher Buscher „ein typischer Fall, der die Doppelmoral der Gewerkschaften“ zeige.

Was als „Deal“ gedacht gewesen sei, würde jetzt zum „Geschenk an die Arbeitgeber“, räumt Ver.di-Frau Kunkel-Weber ein. „Viel zu optimistisch“ habe man bei den Verhandlungen darauf verzichtet, von den Arbeitgebern im Gegenzug zu ihrer Entlastung einen Nachweis über neu eingestellte Azubis zu fordern.

Den Vorschlag, dass der Staat mehr Lehrstellen in überbetrieblichen Ausbildungsstätten zur Verfügung stellen solle, hält Buscher für wenig hilfreich: „Die Betriebe investieren in ihre eigene Zukunft, wenn sie selbst ausbilden. Derart passgenaues Personal für ihre Firma kann keine staatliche Stelle liefern.“

NINA MAGOLEY