Für Struck nach Kundus

Die Bundesregierung könnte ein Wiederaufbauteam nach Afghanistan entsenden. Im Gespräch sind 300 Soldaten

aus Taschkent PETER BÖHM

Als Bundesverteidigungsminister Peter Struck gestern Morgen in Kabul den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai und seinen Verteidigungsminister Mohammed Fahim traf, ging es vor allem um ein Thema: Soll die Bundeswehr bald ein Regionales Wiederaufbauteam (PRT) in die nordafghanische Stadt Kundus entsenden? Struck war zur feierlichen Übergabe des deutsch-niederländischen Kommandos der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) an die Nato nach Afghanistan gereist.

Dass Karsai und Fahim Deutschland zum Einsatz von bis zu 300 deutschen Soldaten in Kundus ermutigt haben, gilt als sicher. Unmittelbar vor Strucks Eintreffen betonte der afghanische Minister für Wiederaufbau, Amin Farhang, die Bedeutung des Einsatzes von Isaf-Kräften außerhalb Kabuls. Zwar verstehe er die Bedenken bezüglich der Sicherheitssituation in der Region, sagte er. Doch wenn man Afghanistan mit dem Irak vergleiche, passiere in seinem Land relativ wenig.

Der entscheidende Grund jedoch, warum die deutsche Regierung nun über einen Einsatz in Kundus nachdenkt, dürfte sein, dass die USA andere Nationen gebeten hat, sich den PRTs anzuschließen. Kanzler Schröder hatte US-Außenminister Powell im Mai versprochen, eine Beteiligung zu prüfen. Die USA setzen schon seit Herbst vier dieser PRTs ein – eines davon mit 40 Mitarbeitern in Kundus, das die Deutschen nun ersetzen sollen. Die PRTs bestehen aus bis zu 100 Leuten – Soldaten sowie zivilen Helfern, die die Infrastruktur wiederaufbauen sollen. Da so jedoch Soldaten und humanitäre Helfer zusammen auftreten, wird dieses Konzept der „humanitären Helfer in Uniform“ von den Hilfsorganisationen in Afghanistan scharf kritisiert. „Diese Teams kommen mit den besten Absichten, aber sie schaffen eine Menge Verwirrung in der Bevölkerung“, sagt etwa Rafael Robillard von der Organisation der afghanischen humanitären Gruppen Acbar.

Noch im August wird die Entscheidung der Bundesregierung erwartet, ob sie ein Wiederaufbauteam nach Kundus entsendet. Vor dem Frühjahr würde es jedoch nicht vor Ort sein, und wie viele Mitarbeiter es hätte, ist bisher reine Spekulation. Der Vizefraktionsvorsitzende der SPD, Gernot Erler, hat die Zahl von bis zu 300 Soldaten ins Spiel gebracht. Aber am Rande der Pressekonferenz von Struck in Taschkent war sogar davon die Rede, nur zivile Helfer und keine Soldaten zu entsenden.

Was fahrlässig scheint, spiegelt die Situation in Kundus, 250 Kilometer nördliche von Kabul, wider. Denn die mit 120.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Nordens gilt als sicher. Sie und die sie umgebende Provinz wird von der von Tadschiken dominierten Jamiat-i-Islami kontrolliert. Anders als 150 Kilometer westlich, in der Region um Masar-i-Scharif, gibt es in Kundus seit der Vertreibung der Taliban keine Kämpfe zwischen rivalisierenden Warlords.

Nur vielleicht ist genau das das Problem. Denn im Petersberger Friedensabkommen war die Bundesregierung eine der Garantiemächte, die helfen wollten, nach dem Krieg in Afghanistan eine stabile Nachkriegsordnung zu schaffen. Langfristig geht das nur, wenn die regionalen Kriegsfürsten sich einer Zentralmacht unterwerfen. Und der Chef der Jamiat-Partei, Mohammed Fahim, ist eben, außer Verteidigungsminister, nun einmal mächtigster Warlord im Land. Seine Jamiat-Partei war die stärkste Gruppe innerhalb der Nordallianz, die mit den USA die Taliban besiegte. Seitdem liegt die militärische Macht, zumindest nördlich von Kabul, in den Händen der Jamiat. Deshalb stellt sich die Frage, ob es das richtige Signal der Bundesregierung wäre, ihr Wiederaufbauteam gerade dort zu stationieren.

Zwischen die Fronten der Warlords zu geraten, müsste das deutsche PRT aber kaum fürchten. Die einzige Bedrohung könnte von Angriffen der Koalition von Taliban, al-Qaida und dem Warlord Gulbuddin Hekmatjar ausgehen. Ende Juni explodierten zwei Bomben gleichzeitig vor amerikanischen Einrichtungen in Kundus. Verletzt wurde niemand, doch die Anschläge trugen die Handschrift militanter Islamisten. Die haben angekündigt, nach diesem Erfolg dort mehr Anschläge verüben zu wollen.

Es scheint jedoch zweifelhaft, ob ihnen das über die Grenzgebiete zu Pakistan und den Süden Afghanistans hinaus gelingt. Deshalb dürfte das alte afghanische Sprichwort „Wenn du sterben willst, geh nach Kundus“ – wenn überhaupt – nur noch als Witz gelten. Es leitet sich davon ab, dass es in Kundus im Sommer über 50 Grad heiß werden kann. Dafür gibt es ja inzwischen Klimaanlagen. Nur für die Frage, ob ein Wiederaufbauteam dort das richtige Signal für den Friedensprozess in Afghanistan wäre, wurde noch nichts erfunden.