Nach dem Goldrausch

Im Eggers & Landwehr-Café lasen Eckhart Nickel und Christian Kracht hübsche alte Texte und einen Dialog zur Deutschen Bank, der wie ein Trailer für „Tristesse Royale II“ wirkte

Manche Schriftsteller sind größer als andere. Martin Walser etwa, Günter Grass oder Alexander Kluge, die gern mal als „Großschriftsteller“ bezeichnete werden. Auch Christian Kracht und Eckhart Nickel, die gern mal als Dandy-Schriftsteller oder Pop-Literaten bezeichnet werden, sind größere Schriftsteller als andere. Das merkt man schon am Andrang, der trotz der Temperaturen bei ihrem Leseauftritt im Eggers & Landwehr-Café herrscht. Nicht alle, die wollen, kommen rein, mehr als hundert Menschen fasst das Café nicht. Geradezu euphorisch ist die Begrüßung: Nach langer Zeit könne man endlich mal wieder Christian Kracht hören, neue und alte Texte, „hier in Europa, Deutschland, Berlin“, flötet ein Mann von Eggers & Landwehr, wohl nicht ahnend, dass Kracht und Nickel die Lesung vor allem mit älteren Texten bestreiten werden.

Tatsächlich ist es stiller um Kracht geworden, nachdem er mit seinem Roman „1979“ einer der Stars der Frankfurter Buchmesse 2001 war, und mehr noch um Nickel und die anderen Jungs vom literarischen Quintett, Benjamin v. Stuckrad-Barre, Joachim Bessing und Alexander v. Schönburg. Die Gründe dafür sind oft genug diskutiert worden: Der 11. September (der Krachts Roman allerdings erst zum Buchmessenereignis werden ließ), die neue Ernsthaftigkeit, das Ende der Ironie, das Ende des Spiels, mit dem Ende der Ironie Witze machen zu können, der Tod der Popliteratur, der Crash der New Economy, die Wirtschaftskrise, die Verlags- und Zeitungskrise.

Andererseits ist es um Martin Walser oder Botho Strauß genauso still, wenn sie gerade keine neuen Bücher veröffentlicht haben (oder keine Paulskirchenreden halten oder Spiegel-Artikel schreiben) – da gibt es keine Größenunterschiede, Schreiben dauert halt seine Zeit. So braucht es auch keine Popliteraturretter und Popliteraturverabschieder in Personalunion (Lottmann!), braucht es nicht mal einen, von dem Schriftsteller Gregor Hens kürzlich in der FAS diagnostizierte, „Miniaufschwung“ der Popliteratur, den Hens an Benjamin Leberts neuem Buch festmacht, oder an Kommentaren von Christian Kracht, „mit neuem Anspruch, interessanter, weiter gehend als seine Kritiken asiatischer Instantsuppen“.

Dass gerade aber die alten Texte weiter gut funktionieren, beweisen Kracht und Nickel an diesem Abend. Nickel liest einen hübschen, dem Wetter angepassten Tagebuchtext, worin er einmal von einem kleinen Jungen gefragt wird: „Sind Sie echt?“, was groß ist, und zitiert nicht wenig aus Thomas Manns Tagebüchern ganz nach der Devise: lieber Gott als Bürger.

Kracht wiederum liest eine schön morbide Geschichte aus seinem Erzählband „Der gelbe Bleistift“, in der er sich in Peshawar rumtreibt, Waffenfabriken besucht und schießen lernt, was für ihn schließlich wie Kartoffelchipsessen ist. Sowie eine über Dschibuti, „das zweitteuerste Land der Erde nach Japan“, wie es mehrmals heißt, wo sich einheimische Geschäftsleute, Reisende und deutsche Marinesoldaten treffen und mal mehr, mal weniger verstehen. Die Marinesoldaten sind gar Spex-Leser und brillieren mit Zitaten von The Smiths, die wiederum das Motto dieser Lesung stellen, „Some Girls Are Bigger Than Others“, und in der Pause rauf- und runtergespielt werden, ohne Eindruck zu hinterlassen oder Erinnerungen wachzurufen. Haben halt ihre Zeit gehabt, die Smiths.

Ebenfalls nicht ganz so gut funktioniert ein Dialogstück über die Deutsche Bank, das Kracht und Nickel gestelzt-stockend lesen und das wie ein Trailer zu einem zweiten „Tristesse Royale“-Band wirkt. Gerüchten zufolge soll da was in Arbeit sein: das literarische Quintett, fünf Jahre später, after the goldrush. Als Buch aber wäre das doch was!

GERRIT BARTELS