Rummelplatz Charlie

Den einstigen Grenzkontrollpunkt an der Friedrichstraße beherrschen Freiluft-Mützenhandel und Drehorgelgasse. Früher standen sich hier die Systeme gegenüber – heute Händler und Touristen

von JAN ROSENKRANZ

Das Produkt ist gut, das Wetter schlecht – jedenfalls für das Geschäft. Denkbar schlecht. Genau genommen interessiert sich bei 30 Grad im Schatten niemand für Pelzmützen. Auch dann nicht, wenn ein roter Stern sie ziert. Die Sonne steht senkrecht über dem Platz, doch niemand lechzt nach karibischen Cocktails. Auch für Haribo-Ersatz-Gummitiere haben Touristen mittags wenig übrig, und obwohl die Busarmada direkt vor der Luke parkt, isst selten jemand „Maximilians“-Würstchen.

Eigentlich sollte hier längst ein American Business Center stehen. Aber das ist nicht das einzige „eigentlich“. Denn weil das Business Center vorerst nicht gebaut wird, sollte hier eigentlich eine „Altberliner Drehorgelgasse“ die Baulücke füllen – mit Handwerkskunst und Kleinstadtcharme.

Stattdessen stehen hier seit Anfang März merkwürdige Buden mit bunt bemalter Sperrholzfassade, in denen nebst Nostalgika der übliche Berlin-Nippes feilgeboten wird und Würstchen und Döner oder ein Besuch in die „weltgrößte Wanderaustellung handgefertigter Metallobjekte für Einrichtung, Dekoration und Garten“. Der Checkpoint Charlie war Berlins berühmtester Grenzübergang. Heute ist er Rummelplatz, Mauerkirmes und Freiluft-Mützenhandel.

Matt hockt der türkische Verkäufer neben dem hutbeladenen Tisch und preist einsilbig seine Ware an. „Armeemütze. Russisch. 25 Euro“, sagt er. Ist die original? „Die? Original.“ Und die anderen? „Na ja. Wird getragen. Heute. In Russland. Von Armee.“ Also sind die neu? „Mütze. Ja. Emblem. Nein.“ Die NVA-Mützen gibt es für 15 Euro – beklebt mit Bändern, auf denen „NVA-Wachregiment“ oder „Ministerium für Staatssicherheit“ steht und die selbst früher niemand an der Mütze trug. „Mütze ist alt. Band ist neu“, sagt der Verkäufer. Früher hat man die Bänder über den Uniformärmel gestreift.

Egal, solange die Touristen kaufen. Aber sie kaufen nicht, sie fotografieren – sich und den Wachhäuschen-Nachbau, sich und die Sandsack-Mauer, die „You are leaving …“-Tafel-Kopie oder die „letzte rote Fahne vom Kreml“. Viel mehr gibt es nicht zu sehen am historischen Ort, wo sich einst die Panzer der Systeme gegenüberstanden.

„Es ist eine Katastrophe“, sagt Alwin Nachtweh, obwohl auch er einen Stand auf dem Rummel betreibt. Aber das hat andere Gründe. Denn er verkauft Original-Mauerstücke – kein plump gefälschtes Material, dass zum Färben in Polen war. Auf dem Tisch und unter Glas liegen Fotos, die einen langhaarigen Mann mit Vollbart zeigen, der mit Hammer und Meißel die Mauer zerlegt – Nachtweh bei der Arbeit. Er ist Mauerspecht.

Er hat noch immer zwei Neuköllner Keller voll mit Brocken. Er braucht sie nicht zu fälschen. Er nicht. Und weil ihm das schon immer wichtig war, sagt er, habe man ihn vor fünf Jahren aus dem „Haus am Checkpoint Charlie“ rausgeworfen – ihn, den Gründer des Museums-Shops. Der Museumschef habe immer wieder gefordert, endlich auch die Postkarten mit den Mauerkapseln ins Programm zu nehmen. Doch die seien nicht echt, sagt Nachtweh. Irgendwann gab es sie plötzlich doch im Shop. „Da musste ich doch die Touristen warnen.“ Und dann musste er gehen. Es wurmt ihn noch immer.

Im Souvenirshop gegenüber gibt es Mauer in allen Varianten: unter Plexiglas und hinter Scheiben, in Tüten und nunmehr sogar in Fläschchen. „Mauer geht immer“, sagt die Verkäuferin. Mauer kaufen alle. Darüber hinaus aber hat die Frau feine nationale Differenzen ausgemacht. Japaner bevorzugen silberne Kaffelöffel. Dänen kaufen Tassen mit Berlin-Aufdruck, Südeuropäer vor allem Teller. Für die Bierkrüge interessieren sich vor allem Holländer und Briten, und wenn die Amis kommen, zeigt sie sofort, wo sie Pins und Kühlschrank-Magneten finden. Nur die Mexikaner kaufen einfach alles, sagt die Verkäuferin. Doch für die Pelzmützen mit dem roten Stern interessieren sich bei 30 Grad im Schatten nicht mal Mexikaner.