Die Irrfahrt einer Pädagogin, die alle wollen. Eigentlich

Birsel Göktas möchte gerne Lehrerin werden. Sie hat ein gefragtes Fach studiert, sie spricht fließend Türkisch und Deutsch und der Schulminister wünscht öffentlich ihre Einstellung. Dennoch hat Birsel Göktas nur Absagen bekommen – weil sie Türkin und damit Nicht-EU-Ausländerin ist

Göktas: „Alle applaudieren über mein Engagement – aber keiner hilft“

BERLIN taz ■ Birsel Göktas will arbeiten gehen. Sie will morgens in eine Klasse kommen und den Kindern alles beibringen, was sie wissen müssen. Aber die 30-Jährige darf nicht in die Schule. Obwohl sie studierte Lehrerin ist. Obwohl sie ihr erstes Staatsexamen absolviert hat und hätte eigentlich längst ins Referendariat gehen können. Birsel Göktas darf ihre Lehrzeit als Pädagogin nicht beginnen, weil sie keinen deutschen Pass hat.

Referendariate werden zuerst an deutsche Lehramtsstudenten, dann an EU-Ausländer und erst ganz zum Schluss an alle anderen vergeben. Damit rutscht Göktas auf der Warteliste ganz nach unten. Dass sie als Mathematiklehrerin und Türkischsprachige dringend in den Schulen gebraucht wird, bringt ihr keinen Bonus.

Vor fast dreizehn Jahren kam sie nach Deutschland. Sie absolvierte ihr Fachabitur in Mathematik und fing an, in Istanbul ebenfalls Mathematik zu studieren. Im September 1990 entschied sie sich, nach Deutschland zu gehen. Ihr Bruder wohnte bereits hier. Sie kannte das Land aus den Erzählungen ihres Vaters, der von 1972 bis 1987 in Deutschland lebte. Birsel Göktas fing sprachlich bei null an. Sie belegte einen Sprachkurs, sobald sie in Berlin ankam: „Ich wollte dazugehören und mich mit den Menschen unterhalten können.“ Sie las die deutschen Tageszeitungen und schaute deutsches Fernsehen. Nach drei Monaten fühlte sie sich in der fremden Sprache sicher.

Im Herbst 1992 machte Birsel Göktas den Sprachtest an der Technischen Universität Berlin. Sie bestand und schrieb sich für Wirtschaftsmathematik ein. Weil sie keine Studienförderung bekam, suchte sie sich Arbeit als Nachhilfelehrerin. Zwei Jahre lang unterrichtete sie einen Jungen, danach eine Gruppe von sechs bis sieben Schülern. „Das Unterrichten machte Spaß. Je mehr ich mit den Kindern zusammen war, desto mehr Lust bekam ich, als Lehrerin zu arbeiten“, sagt Birsel Göktas heute.

1995, nach dem 6. Semester, wechselte sie das Hauptfach: von Wirtschaftsmathematik ins Lehrerstudium. Sie wollte für Kinder da sein: „Ich dachte, ich könnte ihnen ein gutes Vorbild sein. Immerhin war ich hierher gekommen, ohne ein einziges Wort Deutsch zu sprechen.“

Noch während sie ihren Teilabschluss in Mathe machte, belegte sie an der Uni Pädagogikkurse. 1999 schloss sie Mathe ab, im Mai 2002 erhielt das erste Staatsexamen. Seitdem wartet sie auf einen Referendariatsplatz. Im Juli 2002 schrieb sie die erste Bewerbung für einen Platz an einer Schule. Sie wurde abgelehnt. Ihr wurde nahe gelegt, dass sie mit einem deutschen Pass größere Chancen auf ein Referendariat hätte. Oder mit einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung. Die Bedingung für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung aber ist ein abgeschlossenes Studium, und dazu braucht man das Referendariat. Birsel Göktas ist zurzeit mit einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. Und auf Warteliste.

Birsel Göktas legte Widerspruch ein. Und sie schrieb einen Brief an Berlins Schulsenator Klaus Böger (SPD). Immerhin war er es, der gefordert hatte: „Migrantenkinder, studiert Lehramt!“ Göktas lernte Böger im Frühjahr 2002 persönlich kennen. Auf einer Pisa-Tagung sprach sie mit ihm über ihr Problem. „Er versprach, mich zu unterstützen“, erzählt Birsel Göktas, „wir haben unsere Nummern ausgetauscht.“ Als Reaktion auf ihren Brief kam ein Anruf der Sekretärin des Senators. „Sie sagte mir, Böger hätte keinen Einfluss darauf, wer einen Referendariatsplatz bekommt und wer nicht. Ich solle mich gedulden“, sagt Göktas enttäuscht.

Das hielt Böger aber nicht ab, am Beispiel Birsel Göktas’ das Migrantenproblem der Schule zu illustrieren. In öffentlicher Rede. Nun kommt sich die junge Frau verarscht vor: „Alle applaudieren über mein Engagement – aber keiner hilft.“ Sie fühlt sich hingehalten. Denn auch bei der nächsten Bewerbungsrunde erhielt sie wieder eine Absage. Daraufhin drückte sie Böger einen Brief persönlich in die Hand, in dem sie ihn noch einmal um Hilfe bat. Diesmal versprach er, das Gesetz zu ändern. Was inzwischen geschehen ist. Im Herbst hat Birsel Göktasch nun also eine Chance – wenn sie in die 3-Prozent-Quote für Nicht-EU-Ausländer rutscht.

Auch in der Universität standen die Professoren hinter ihr. Sie bewunderten das Mädchen, das als Einzige Mathematik und Lehramt studierte. „Nur einmal sagte mir eine Universitätsangestellte, dass es vielleicht passieren könnte, dass ich die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen müsse – wegen des Referendariats“, erzählt Birsel Göktas.

Dass sie nun zu Hause sitzt, ist auch deshalb ärgerlich, weil sie das Angebot einer Schule hat: Während ihres Studiums machte Birsel Göktas ein Praktikum an der Aziz-Nesin Europaschule in Berlin-Kreuzberg. Dort wollen sie die junge Lehrerin unbedingt als Referendarin. Aber an der Berliner Verwaltung führt auch dieser Weg nicht vorbei – das Landesschulamt vergibt die Plätze. Unabhängig von Wünschen.

Jedes Jahr bewerben sich mehr Lehramtsstudenten für ein Referendariat, als Plätze zur Verfügung stehen. Unabhängig von der studierten Fachrichtung geht es nach der bekannten Reihenfolge deutsche Studenten, EU-Ausländer, Nicht-EU-Ausländer. Ein deutscher Geografielehrer bekommt so schneller ein Referandariat als die türkische Mathematiklehrerin. Obwohl Geografielehrer bei weitem nicht so dringend gebraucht werden wie die für Mathematik. Jedes Jahr bleiben Lehramtsstudenten übrig, die dann im nächsten Semester wieder mit den neuen Staatsexamlern konkurrieren müssen. Wieder auf den hinteren Plätzen.

Birsel Göktas will nicht länger zu Hause sitzen. Sie mag es nicht, dass ihr Mann allein das Geld nach Hause bringt und sie einfach nicht arbeiten darf. Sie verbringt ihre Tage mit Lesen, Fachzeitschriften für Lehrer mag sie. Zweimal wöchentlich gibt sie Nachhilfe. Einmal in der Woche telefoniert sie mit ihrer Anwältin. „Im letzten Jahr wurde ein ähnlicher Fall gewonnen, das gibt mir Hoffnung“, sagt Birsel Göktas. Trotzdem denkt sie manchmal darüber nach, ins Ausland zu gehen. Nicht in die Türkei, das komme nicht in Frage. „Dort fühle ich mich fremd. Ich mag Deutschland sehr“, sagt sie. Sie will auch weiterhin in ihrem Beruf arbeiten und weiß noch nicht, wann für sie der Punkt wäre, an dem sie aufhört zu warten und etwas Neues anfängt. Publizistik würde sie interessieren, auf jeden Fall eine selbstständige Arbeit mit Menschen. „Eigentlich ist meine Geduld schon lange erschöpft. Ich möchte gern Kinder haben, aber nicht als Hausfrau enden, was die Konsequenz wäre, wenn ich jetzt schwanger werden würde.“ Birsel Göktas wartet also weiter. Auf die Bewerbungsrunde im Herbst. SUSANNE KLINGNER