Schlüssellose Geschichten

Die Liebe als ein unendliches Gespräch: Amparo Serrano de Haros „New Yorker Nachtstück“

VON ANNE KRAUME

Niemand von den wirklich wichtigen Figuren in diesem Buch hat einen Namen. Nicht die Ich-Erzählerin in New York, nicht ihr Geliebter, den sie in Spanien zurückgelassen hat, nicht ihre Mutter, mit der sie den Geliebten in Madrid geteilt hatte. Dafür haben die zahllosen Nebenfiguren umso schönere Namen: Die beiden spanischen Mitbewohnerinnen Ariana und Mariana, der portugiesische Diplomat Francisco do Amaral y dos Pinos, der flüchtige Freund I. van Nil, der eigentlich Ivan heißt und sich für Intellektuelle I. am Nihil nennt. Der bunte Reigen dieser trivialen Gestalten mit den bedeutungsschwangeren Namen umkreist das leere Zentrum der drei Hauptfiguren, die von ihrer Namenlosigkeit wohl geheimnisvoll angehaucht sein sollen.

Aber hier liegt schon das Problem von Amparo Serrano de Haros „New Yorker Nachtstück“: Gerade weil jeder einzelne Satz so bedeutsam und schwer daherkommt, versandet alles nur zu oft im Belanglosen. In kurzen Abschnitten erzählt die junge Spanierin ohne Namen ihre Geschichte: Abbruch der Beziehung in Spanien, unmöglicher Neuanfang in New York, zufällige Bekanntschaften, eine gleichgültige Tätigkeit und immer wieder Blicke zurück nach Old Europe. Madrid, die gescheiterte Liebe, die enge Beziehung zur Mutter, die intrigante Tante. Das Ganze durchmischt mit vermeintlich tiefsinnigen Aphorismen, die wahrscheinlich nicht nur in der deutschen Übersetzung stilistisch eher verschwurbelt wirken: „Die Hoffnung als Ergebnis der Verzweiflung ist gefährlich, denn sie birgt eine Geschichte, deren Unwahrscheinlichkeit Flügel verleiht.“

In der losen Abfolge der Kapitel entwirft die Erzählerin ein Bild der Situation, in dem schnell offensichtlich wird, dass die eigentliche Schwierigkeit wahrscheinlich gar nicht darin liegt, dass Mutter und Tochter denselben Mann lieben. Auch nicht darin, dass der die Gelegenheit ausgenutzt hat, sich über eine offizielle Beziehung zur Mutter einer inoffiziellen zur Tochter anzunähern. Nein – das Problem liegt tiefer. Ist es nicht so, dass der Mann der Eindringling in diesem Dreieck ist? „Bevor du kamst, lebten wir unser Leben unter einem ruhigen Himmelszelt, an einer friedlichen Küste, wo wir von Stürmen nur ein fernes Echo vernahmen.“ Derjenige, der hinzukommt, sprengt die symbiotische Mutter-Tochter-Beziehung auf – gerade deshalb wird diese als die eigentliche Liebesbeziehung des Romans stilisiert.

In einer Szene erinnert sich die erzählende Tochter in New York an eine Episode aus ihrer Kindheit. Sie ist mit ihrer Mutter in Madrid unterwegs und sieht ein Kinoplakat, auf dem ein Mann und eine Frau im Bett liegen. Das Kind fragt die Mutter, was der Mann und die Frau da im Bett machen, und die antwortet: Er erzählt ihr sein Leben, und sie erzählt ihm ihres. Jetzt, in New York, auf der Flucht vor der Liebe, stellt die Erzählerin fest, dass ihr diese erste Definition für immer geblieben ist: die Liebe als ein unendliches Gespräch. Und tatsächlich: Über ihre Mutter schreibt sie: „Wir verbrachten unsere Tage in einem fortgesetzten Gespräch, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen“, während es von der Beziehung zu dem Mann nur heißen kann: „Zwischen uns war immer ein Raum, ein Schweigen.“

An diesem Punkt hätte nun eine unkonventionellere Geschichte ansetzen können – aber hier bleibt sie zugunsten der banalen Dreiecksgeschichte in den Anfängen stecken. Ganz zunichte gemacht wird das „Nachtstück“ schließlich durch die Manie der Autorin, auch die letzte subtilere Andeutung noch taghell auszuleuchten. In New York stoße man allenthalben auf Kakerlaken, die sofort verschwinden, sobald man Licht macht, wird berichtet. Unausweichlich schließt der Abschnitt dann mit der Erklärung der Metapher: „Sie verschwinden […], aber nie ganz, du weißt, sie sind da, aber es ist besser, sie nicht zu sehen … die Gewissensbisse.“

Der Schlüssel zu allem liege darin, dass man seine Geschichte erzähle: So lässt Amparo Serrano de Haro ihr „New Yorker Nachtstück“ enden. Es wäre schön gewesen, wenn sie darin wirklich eine Geschichte erzählt hätte.

Amparo Serrano de Haro: „New Yorker Nachtstück“. Aus dem Spanischen von Svenja Becker, Klett Cotta, Stuttgart 2004, 300 Seiten, 20 Euro