„Militärfirmen und Sicherheitsdienste sind nicht per se schlecht“, sagt Peter W. Singer

Private Unternehmen übernehmen nicht nur im Irak immer mehr Aufgaben von Soldaten. Dies zu beklagen reicht nicht

taz: Herr Singer, Irak und Afghanistan haben die Rolle privater Militärfirmen ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Ist der Prozess der Privatisierung von Sicherheits- und Militärdiensten historisch neu?

Peter W. Singer: Nein, eine private Rolle im Kriegsgeschehen hat es immer gegeben. Denken Sie nur an die Söldnerarmeen des Römischen Reiches und während des 30-jährigen Krieges oder die Privatarmeen der englischen Ostindischen Gesellschaft. Der Staat begann Mitte des 17. Jahrhunderts Kriegsangelegenheiten zu monopolisieren – ein Zustand, der bis Ende des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger anhielt. Seit Anfang der 90er-Jahre übernehmen jedoch private Unternehmen wieder stärker militärische Aufgaben, die bis dahin ausschließlich Soldaten oblagen.

Wo sind diese Firmen heute beheimatet?

Viele glauben, dies sei ein amerikanisches Phänomen. Das ist falsch. Die Firmen operieren in über 50 Ländern auf allen Kontinenten. Das Pentagon ist allerdings einer der wichtigsten Auftraggeber dieser Industrie. Es hat in den letzten zehn Jahren rund 3.000 Verträge mit diesen Firmen abgeschlossen. Aber auch europäische Staaten sind an vorderster Front. Das mit Abstand wichtigste Einsatzgebiet ist zurzeit der Irak. Privatfirmen mit militärischem Auftrag beschäftigen dort rund 20.000 Mitarbeiter.

Welche Aufgaben übernehmen diese Firmen?

Logistik, Beratung, Kampfeinsätze. Wie in einer herkömmlichen Armee stellen sie Fahrer, Mechaniker, Infanteristen, Militärplaner. Es sind die gleichen Funktionen, nur von privaten Firmen ausgeführt. Unternehmen wie Halliburton kümmern sich vorwiegend um Logistik und Versorgung, Northrop Grumman und Boeing warten Flugzeug- und Raketentechnik, andere übernehmen Verhöre und trainieren die irakische Armee.

Wären die Invasionen im Irak und in Afghanistan ohne diese Firmen möglich gewesen?

Afghanistan ja, Irak nicht. Für die US-Armee ist es derzeit undenkbar, eine größere Operation zu starten ohne die Unterstützung privater Firmen. Das sagt viel über die einzige Supermacht, deren militärische Überlegenheit zwar unangefochten ist, dennoch über so begrenzte Kapazitäten verfügt, dass sie auf private Hilfe angewiesen ist.

Warum ist das Image dieser Privatfirmen so negativ?

Das liegt zunächst daran, dass sie durch das Prisma des Söldnerwesens betrachtet werden. Söldner ist ein negativ besetzter Begriff. Außerdem greifen sie in die wichtigsten Funktion des Staates ein: Gewährleistung von Sicherheit und Verteidigung. Daher werden sie von der Öffentlichkeit misstrauisch beäugt. Die Leute sind skeptisch, ob Profitmaximierung mit der Nationalen Sicherheit vereinbar ist. Und schließlich berichtet die Presse meist über ihre Skandale, kaum Erfolgsgeschichten. Die Öffentlichkeit verbindet sie daher mit Abu Ghraib oder Frauenhandel in Bosnien.

Diese Unternehmen im militärischen Auftrag sind jedoch nicht mehr oder weniger in Skandale verwickelt wie die herkömmliche Armee auch.

Sicher. Sie nicht per se schlecht. Doch es gibt einen fundamentalen Unterschied. Wenn ein Soldat eine Straftat begeht, gibt es eine klare Verantwortlichkeit, wie zum Beispiel bei den Militärpolizisten in Abu Ghraib, die vor ein Militärgericht gestellt werden. Diese fehlt jedoch bislang für von der Armee angeheuerte Zivilisten. Es ist viel schwieriger, sie strafrechtlich zu verfolgen.

Sie analysieren in Ihrem Buch die Vorteile dieser militärischen Auftragnehmer – wie höheren Professionalismus, Neutralität in Bürgerkriegen – und deren Nachteile – wie Profitorientierung, rechtliche Graubereiche, mangelnde Kontrollmöglichkeiten. Was überwiegt?

Schwer zu sagen. Die Antwort hängt von der persönlichen Philosophie ab. Ob man eher utilitaristisch eingestellt ist oder die Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols ablehnt. Es ist zu einfach, den Boom dieser Firmen als Fehlentwicklung zu brandmarken oder als Errungenschaft zur Verschlankung des Staates zu preisen. Sinnvoller ist es, ihre Pro- und ihre Contraseiten darzustellen und Wege aufzuzeigen, wie man mit ihnen am besten in Zukunft umgeht.

Wie können die negative Auswirkungen begrenzt werden?

Das ist die zentrale Frage. Die Industrie existiert, und wir müssen mit ihr bestmöglich umgehen. Dazu bedarf es folgender Grundlagen: Erstens, Regierungen und Kunden müssen entscheiden, welche militärischen Aufgaben für private Firmen unangemessen sind. Zum Beispiel sollten Verhöre, wie in Abu Ghraib, nicht von Zivilisten durchgeführt werden dürfen. Hier ist deren Zuständigkeit überschritten. Zweitens, wenn bestimmt ist, welche Funktionen zulässig sind, müssen wir einen Mechanismus etablieren, der garantiert, dass diese Firmen auch tatsächlich Geld einsparen …

da die öffentliche Wahrnehmung ist, Outsourcing sei billiger?

Die Realität sieht oft anders aus. Das liegt daran, dass es um militärische Aufträge selten Wettbewerb gibt. Bestes Beispiel ist Halliburton, dass seine Aufträge ohne Bieterverfahren vom Pentagon zugeschustert bekam. Und drittens, diese Industrie muss stärker reguliert werden. Wir brauchen bessere rechtliche Rahmenbedingungen, die vor allem die negativen Auswüchse abdecken. INTERVIEW: MICHAEL STRECK