Keine Abschiebung an der Justiz vorbei

Pünktlich zur „Cap Anamur“-Krise setzt Italiens Verfassungsgericht wichtige Teile des rechten Einwanderungsgesetzes von 2002 außer Kraft. Illegale Einwanderer dürfen demnach nicht vor einer richterlichen Bestätigung abgeschoben werden

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Mag sein, dass es ein Akt „göttlicher Vorsehung“ war, wie ein Missionar des in Afrika und in der Immigrantenbetreuung in Italien sehr aktiven Combonianer-Ordens meinte: Ausgerechnet jetzt, in den Tagen der „Cap Anamur“-Krise, verwarf das italienische Verfassungsgericht wichtige Bestimmungen des Ausländergesetzes von 2002. Jenes „Bossi-Fini-Gesetz“ – benannt nach seinen beiden Vätern, Lega-Nord-Chef Umberto Bossi und Alleanza-Nazionale-Vorsitzender Gianfranco Fini – atmet den gleichen Geist wie das Handeln der Regierung gegenüber der „Cap Anamur“ und ihren 37 Flüchtlingen: den Geist rücksichtsloser Härte. Schließlich hatte Italiens Rechte im Jahr 2001 auch mit der Gleichung Immigration = Kriminalität den Wahlkampf gewonnen. Das Gesetz sollte deshalb vor allem die Möglichkeit schaffen, illegale Einwanderer ohne Federlesens abschieben zu können.

So sah der erste der jetzt vom Verfassungsgericht kassierten Artikel vor, dass die Polizei auf dem Verwaltungswege Abschiebungen im Hauruckverfahren vornehmen konnte, ohne eine richterliche Entscheidung abzuwarten. Explizit hieß es: „Die mit Beschluss des Polizeipräsidenten verfügte Begleitung des klandestinen Einwanderers an die Grenze hat vor der Bestätigung durch das Gericht zu erfolgen.“ Rechtlicher Beistand oder gar eine Anhörung durch den Richter waren damit den Abschiebekandidaten von vornherein versagt. Und wenn der Richter am Ende die Bestätigung verweigerte, änderte das auch nichts mehr – die Abschiebung war dann schon längst vollzogen. Die zweite jetzt von den Verfassungsrichtern aufgehobene Norm schrieb vor Ausländer zu verhaften und in Untersuchungshaft zu stecken, die einer Ausweisungsverfügung binnen fünf Tagen nicht Folge geleistet hatten und von der Polizei aufgegriffen wurden. Der illegale Verbleib im Land gilt nach dem Gesetz von 2002 als Straftat, die mit Gefängnis bis zu einem Jahr geahndet werden kann. Bei allen anderen Delikten mit einem Strafrahmen unter drei Jahren aber sieht das italienische Recht eben nicht die Anordnung von Untersuchungshaft vor. Das Verfassungsgericht nannte deshalb den Gesetzesartikel „widersinnig“, da jeder Haftrichter gehalten sei, die Untersuchungshaft für einen festgesetzten illegalen Immigranten sofort aufzuheben.

In der Regierungskoalition entbrannte sofort heftiger Streit über die Konsequenzen der Entscheidung des Verfassungsgerichts. Innenminister Giuseppe Pisanu wollte noch gestern im Kabinett ein Sofortdekret verabschieden lassen, das den Vorgaben des Verfassungsgerichts Rechnung trägt. Er stieß dabei jedoch auf den erbitterten Widerstand der Lega-Nord-Minister, die keineswegs daran denken, das Gesetz der Verfassung anzupassen, sondern stattdessen „die Verfassung dem Ausländergesetz anpassen“ wollen. Angesichts dieses Konflikts vertagte das Kabinett einen Beschluss auf Ende August.