„Die Nabelschnur der schwulen Subkultur“

Wenn heterosexuelle Männer in den besten Jahren sind, gelten Schwule bereits als alt, glaubt Soziologe Bochow

taz: Herr Bochow, altern Schwule anders?

Michael Bochow: Die Selbstdefinition ist da oft eine andere als die der Szene, und auch da gibt es Unterschiede. Aber im Vergleich zu Biografien von heterosexuellen Männern, die in ihren 50ern in den so genannten besten Jahren sind, gelten Schwule zu diesem Zeitpunkt als alt. Für Frauen sind Männer dieses Alters aufgrund ihrer Erfahrung, ihrer Reife und einer gewissen beruflichen Position attraktiv. Für Schwule gilt das nicht in dem Maße. Das liegt daran, dass der allgemeine Jugendfetischismus in der Szene besonders ausgeprägt ist.

Was hat das für Folgen für die Betroffenen?

Viele Schwule, die einen Freundeskreis außerhalb der Szene aufgebaut haben, empfinden sich nicht als vorzeitig gealtert, weil sie nicht angewiesen sind auf die Nabelschnur der schwulen Subkultur. Die Männer hingegen, die sich in ihren 20ern und 30ern nur in der Szene bewegt haben – für die bricht möglicherweise schon in den 40ern ihre bisherige Lebenswelt weg. Ich will die Subkultur gar nicht schlecht machen. Auch da entstehen lebenslange Freundschaften und sei es auf Klappen und in Cruisinggebieten, das heißt öffentliche Toiletten oder Parks, wo sich Männer zum Sex treffen. Aber oft ist es so: Man kennt sich, man grüßt sich und diese Art von Bekanntschaften bilden keine tragfähigen Netzwerke, auf die es im Alter ankommt.

Gibt es denn gar keine Angebote für ältere Schwule?

In den letzten Jahren hat sich da schon etwas getan. Die sozialen Optionen für Schwule sind größer geworden. Schwule sind nicht mehr wie in den 70er-Jahren angewiesen auf die Bar mit Guckloch. In den letzten Jahren haben sich in Berlin auch Einrichtungen für Ältere etabliert, wie der Verein „40plus“, oder haben neuen Zulauf, wie die „Bar Oldtimer“. Daneben gibt es auch soziale Räume, die ich gar nicht mehr als subkulturell bezeichnen möchte, weil sie auch für Heterosexuelle in gewisser Weise zugänglich sind. Ich denke da an die schwulen Buchläden, Chöre und Sportvereine.

Was können Kommunen tun, um die Kommunikationsbedingungen zu verbessern?

Erstmal sollten die Schwulen selbst mal dafür etwas tun, anstatt nur nach dem Sozialstaat zu rufen. Denn ohne dass man selbst etwas tut, passiert gar nichts. Was ich für ganz wichtig halte, sind Angebote für die Generation, die von den Verhältnissen der Adenauer-Ära oder noch schlimmeren Zeiten davor traumatisiert sind. Diese Menschen mussten ihre Neigung immer verstecken und haben es dementsprechend schwer, soziale Kontakte zu knüpfen. Da gibt es viele Fälle von Vereinsamung und Vernachlässigung. Kommunen sollten hier Schwulengruppen unterstützen, soziale Angebote für diese Gruppe auf die Beine zu stellen.

Was halten Sie von Projekten wie „village“ in Berlin, das bis 2005 ein Altersheim speziell für Schwule und Lesben bauen will?

Das ist ein Experiment, das man wagen sollte. Allerdings ist es für ganz viele Schwule ein Graus, im Alter ins Tuntenghetto zu ziehen. Außerdem entlässt man so die „normale“ Altenarbeit aus der Verantwortung, sich mit Homosexualität auseinander zu setzen. Bisher gibt es da nur einige Sonderangebote. Aber es sollte jedes Betreuungsangebot daraufhin geprüft werden, ob genug Sensibilität für Lesben und Schwulen oder andere Minderheiten wie etwa Migranten vorhanden ist.

INTERVIEW: STEFFEN BECKER

Michael Bochow ist Soziologe in Berlin. Gegenwärtig arbeitet er mit einer Kollegin in Niedersachsen an einer Studie über „Lesben und Schwule im dritten Lebensalter“. Mit 55 Jahren ist er selbst gerade in der kritischen Phase