Der Diktator in der Kiste

Weißrussland unter Lukaschenko ist für den Westen ein unbekannter, bestenfalls exotischer Ort. Seinen Alltag, seine Traditionen, aber auch die politischen Kämpfe der Studenten zeigt Andrei Liankevich. Seine subtil inszenierten Fotografien sind in der Acud-Galerie zu sehen

VON CILLI POGODDA

Eine Plattenbausiedlung in Minsk, fotografiert aus der Vogelperspektive. Es ist Nacht, nur gelbes Laternenlicht erhellt die Szenerie. Vor den schnörkellosen Kastenhäusern liegt ein Sportplatz, darauf spielen ein paar Jugendliche Fußball. Vor den monströsen Gebäuden sind sie ganz klein, die Gesichter sind nicht zu erkennen. Dennoch erscheint ihr Spiel wie ein Akt der Befreiung von der starren Sowjetarchitektur. In dieser Aufnahme wird eine Beziehung sichtbar, die den jungen Fotojournalisten Andrei Liankevich immer wieder interessiert: die der Weißrussen zu ihrem Land und damit auch zu den jeweiligen Regimen, die es regieren. Was Liankevich dabei ins Bild fasst, ist ein Lebensraum, in dem sich Politik mal mehr, mal weniger subtil manifestiert und als strukturierende Kraft sinnlich wahrnehmbar wird.

Die Acud Galerie zeigt nun die Wanderausstellung „Focus on Belarus, Terra Incognita“, Liankevichs Studie der belarussischen Gegenwart. Wenn es nicht gerade um Gaspreise oder gefälschte Wahlen geht, hört man aus Weißrussland nicht eben viel. In den deutschen Medien findet das Land wenig Aufmerksamkeit, obwohl die politische Lage dort aus demokratischer Sicht prekär ist. In der allgemeinen Wahrnehmung ist es oft nicht mehr als eine Provinz der ehemaligen Sowjetunion, ein geografischer Platzhalter zwischen der EU und Russland. Präsident Alexander Lukaschenko, in den Medien gerne als letzter Diktator Europas betitelt, führt das Land seit 1994 mit repressiver, antikapitalistischer Politik. Er schirmt es ab von der globalisierten Marktwirtschaft und bemüht sich, den Geist des Sozialismus zu erhalten.

Damit findet er im Lande zwar breite Zustimmung, mittlerweile formieren sich jedoch auch zunehmend proeuropäische Jugendliche und Studenten zum Protest. Einer von ihnen ist Andrei Liankevich. Er wurde 1981 in Grodno geboren und lebt und arbeitet heute in Minsk. Seit 2006 unterrichtet er Fotojournalismus an der Europäischen Humanistischen Universität in Vilnius, Litauen. Mit seinen Arbeiten trägt Liankevich ein Stück Weißrussland nach außen, das den flüchtigen Blicken der Medien sonst entgeht.

Wer einmal dort gewesen ist, wird sich an eine merkwürdig eindringliche Atmosphäre erinnern, die irgendwo zwischen der melancholischen Leere der weiten Landschaft, der monumentalen Architektur und der engagierten Freundlichkeit der Bewohner ihren Ursprung hat. Letztere arrangieren sich in würdevoller Gemächlichkeit und bisweilen auch skurrilem Patriotismus mit ihrer Lebenssituation. Diese Haltung weiß Andrei Liankevich mit viel Gefühl ins Bild zu setzen.

Zwei starke Pole scheinen in der Motivik immer wieder durch. Zum einen fotografiert Liankevich die Weißrussen bei traditionellen Tätigkeiten, sozialistischen Bräuchen oder in Alltagssituationen. Zum anderen interessiert er sich immer wieder für die politisch in Aktion tretende Jugend. Dann zeigen seine Bilder vermummte Demonstranten oder Studenten im Sitzstreik auf dem Oktoberplatz in Minsk. Mit dieser Gegenüberstellung bebildert er die Spannung zwischen der traditionalistischen Bevölkerungsmehrheit und der regierungskritischen Jugendbewegung. Liankevich stellt sie einander gegenüber, legt aber auch nahe, dass sie beide nur gemeinsam zu denken sind.

Dabei gelingt es ihm, das Lebensumfeld der Menschen in seiner Atmosphäre erfahrbar zu machen und es als persönlichen genauso wie als politischen Handlungsraum zu fassen. Das Politische strukturiert mal in architektonischer Gestalt den Bildraum, mal dringt es als sichtbare soziale Konstellation in ihn hinein. Die Menschen darin sind Akteure, sie agieren und sind dynamisch mit ihrem Raum verwoben. Oft in Momenten der Aktion festgehalten, nehmen sie die klar umrissenen Räumlichkeiten für sich ein.

Es sind Momentaufnahmen, doch in ihnen schwebt immer auch eine Idee von Inszenierung. Alle Motive hat Liankevich vorgefunden, er ist mehr Journalist als Künstler. Dennoch macht er keinen Hehl daraus, dass die ein oder andere Szenerie für das Foto erst zurechtgerückt wurde, die Handlungen der Menschen zugunsten der Narrativität ein wenig ausgestellt wurden. Dokument und Fiktion liegen wie zwei Schichten aufeinander und sorgen für eine irritierende subtile Gestik.

Dabei entsteht kurzzeitig der Eindruck, dass diese Geste nicht nur dem Betrachter gilt. Nämlich dann, wenn man vor dem Bild des finster dreinblickenden Alexander Lukaschenko steht. Er sieht den Besucher direkt an, genau wie einige andere Fotografierte, doch anders als sie verfügt er nicht über seinen Bildraum. Liankevich hat ihn nämlich nicht persönlich, sondern bei einer Fernsehansprache mitsamt TV-Gerät fotografiert. So steckt der Präsident auf dem Bild bewegungslos in dem Apparat wie in einer Kiste. Und die Akteure auf den anderen Bildern scheinen ihm mitleidlos entgegenzublicken und sich noch mal ausgreifend zu räkeln.

Andrei Liankevich: „Focus on Belarus. Terra Incognita“. Galerie im Acud Kunstverein, Veteranenstr. 21, Mitte. Bis 1. März, Di.–So. ab 17 Uhr. Infos zum Rahmenprogramm: www.acud.de