Lehrer ließen Kinder bei Brand allein

Die Zahl der Toten bei dem Schulbrand in Indien ist auf 90 gestiegen. Korruption und Laxheit mit verantwortlich

DELHI taz ■ Die Zahl der Opfer der Brandkatastrophe in der südindischen Tempelstadt Kumbakonam am Freitagmorgen hat sich am Wochenende auf 90 Kinder erhöht. Zehn Jungen und Mädchen im Alter zwischen sechs und elf Jahren erlagen ihren schweren Brandverletzungen. Im Krankenhaus der Stadt liegen nun noch rund ein Dutzend Verletzte.

Die meisten Schüler der Unterstufe der „Sri Krishna Middle School“ stammen aus relativ armen Familien, meist Migranten vom Land, die sich an der Peripherie der Stadt niedergelassen haben. In dem Gebäude befanden sich zur Zeit des Brandes rund 900 Kinder. Die meisten konnten sich durch den einzigen engen Ausgang in Sicherheit bringen – alle Fenster waren vergittert –, nur die rund 200 Kinder der vier untersten Klassen blieben in zwei Schulzimmern in der Nähe des Brandherds – einer strohüberdachten Küche – bis es zu spät war. Die Lehrer spielten eine unrühmliche Rolle. Laut Augenzeugenberichten sollen sie Kinder, die bei der ersten Rauchentwicklung fliehen wollten, zum Sitzenbleiben aufgefordert haben; und als es kritisch wurde, machten sie sich aus dem Staub.

Die Tragödie hat das ganze Land in einen Schock versetzt. Die kriminelle Laxheit der Aufsichtsbehörden und der verantwortlichen Schulorgane hat zu ersten Verhaftungen und Suspendierungen geführt, nachdem sich gezeigt hat, dass selbst die elementarsten Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten wurden und die letzte Inspektion vor drei Jahren stattfand. Einmal mehr weisen die Kommentatoren auf die fatalen Folgen eines korrupten Systems hin, in dem jede Unterschrift oder Bewilligung gegen ein einen Aufpreis zu haben ist. Gleichzeitig fehlt es aber auch am nötigen Druck der Zivilgesellschaft, den Staat und die Verantwortlichen härter in die Pflicht zu nehmen.

Die mangelnden Sicherheitsstandards in dieser Privatschule von Kumbakonam sind auch ein Indiz für die Krise des öffentlichen Schulwesen. Es ist angesichts der Staatsüberschuldung hoffnungslos überlastet. Dem Land fehlen heute 446.000 beamtete Lehrer, und die oft leer stehenden Dorfschulen sind ein wichtiger Grund, warum bis zu 40 Prozent der Schulanfänger das fünfte Schuljahr nicht erreichen. Dies hat zu einer Explosion von Privatschulen geführt, von denen die meisten als rein kommerzielle Unternehmen geführt werden und keine Lizenz besitzen. Die Familien der Opfer von Kumbakonam sind typische Beispiele von Eltern, die meist selbst noch als Analphabeten aufgewachsen sind. Der schlechte Ruf der öffentlichen Schulen lässt sie eine großen Teil ihres Einkommens opfern, in der Hoffnung, dass Privatschulen ihren Kindern den Weg aus der Armutsfalle weisen. Wie das Beispiel von Kumbakonam zeigt, endet dieser Weg manchmal in der Katastrophe. BERNARD IMHASLY