Sehr langsam rieselnder Sand im Getriebe

Die Kampagne gegen Hartz IV rief gestern zum Protest vor den Arbeitsämtern. Doch die meisten Betroffenen stecken sich allenfalls ein Flugblatt ein – und gehen weiter. Arbeitslose wollten sich lieber informieren als protestieren

Die groß angekündigten Proteste gegen die Arbeitslosengeldreform sind gestern ausgeblieben. Nur wenige Beteiligte von der Kampagne gegen Hartz IV verteilten ein paar Flugblätter vor mehreren Arbeitsämtern.

So waren vor dem Amt in der Müllerstraße fünf Leute zu sehen – neben einem einzigen Transparent. „Neoliberal ist asozial“, verkünden die Globalisierungskritiker von Attac. „Wir wollen die Leute aufrütteln und mobilisieren“, erklärte Burkhardt Schmidt von der Attac-Projektgruppe 2010. Auch vier Gummimasken kamen zum Einsatz. Für die Kamera zogen sich AktivistInnen die Köpfe von Schröder, Fischer, Merkel und Stoiber über. Der Kanzler fegte die Straße, um den Hals ein Schild: „Wir machen die Drecksarbeit fürs Kapital.“

Auch die Drecksarbeit gegen die Hartz-Reform blieb der Handvoll Aktivisten überlassen. Die Aufzurüttelnden blieben auf Distanz. Einige Leute, die aus dem Arbeitsamt kamen, steckten sich immerhin die Flugblätter ein. Auf Nachfragen erzählten einige auch von ihrer Empörung und ihren Sorgen. Von Protest aber keine Spur. „Einige sind so verzweifelt, die werden sich zu Hause einigeln. Andere wollen aber auch wo mitmachen“, meinte eine Aktivistin, die in Charlottenburg Flugblätter verteilt hat.

Die Kampagne gegen Hartz IV wird von verschiedenen kleinen Gruppen, etwa Erwerbsloseninitiativen aus den Bezirken, getragen. Eine übergreifende Organisation fehlt. „Die verschiedenen Proteste zusammenzuführen ist schwierig“, sagte Schmidt von der Projektgruppe 2010. Er hofft, dass Attac den Protesten gegen Hartz IV mehr Aufmerksamkeit widmet.

Andere Initiativen lehnen eine übergreifende Struktur ab. „Sonst gibt es nur wieder Führungsansprüche“, sagte Bernd Büttner von der Erwerbsloseninitiative ELViS in Schöneberg. „Über die Postenklopperei könnte die Arbeit vergessen werden.“ Viele Initiativen wollen Betroffenen helfen, wie die Aktivistin Anne Allex: „Uns geht es um Selbsthilfe, Information und Aufklärung. Das ist effizienter als eine große Demo.“

So würde zwar in erster Linie den Arbeitsagenturen die mühevolle Beratungsarbeit abgenommen. Doch gegen diesen Vorwurf führen die Initiativen ihre Aktion „St. Niklaus“ an. „Wir wollen die Leute ermutigen, den Antrag auf ALG II möglichst spät abzugeben“, sagt eine Frau von der Initiative Anders Arbeiten. „So werden wir Sand ins Getriebe schütten.“ Bisher rieselt er noch sehr gemächlich.

VERENA HEYDENREICH