Ein Fest der Menschlichkeit

Erst die „Cap Anamur“, dann die „Queen Mary 2“: Wieder steuern Schutz Suchende einen europäischen Hafen an

Wieder sind Schutz Suchende an Europas Küste gestrandet. Diesmal nicht wie gewohnt aus Afrika kommend im Süden des Kontinents, sondern erstmals im Norden, genauer in Hamburg. Dort landete gestern die „Queen Mary 2“ mit 2.620 Boat-People vorwiegend aus Großbritannien und den USA.

Offenbar hatte die Bundesregierung aus der Krise um die „Cap Anamur“ in der vergangenen Woche gelernt und bot den Flüchtlingen aus Übersee sofort Asyl an, da sie unter den Regierungen Bush und Blair genug zu leiden gehabt hätten. Auch von der Bevölkerung wurden die Briten und Amerikaner mit offenen Armen empfangen. Zehntausende Hamburger standen jubelnd Spalier, als das riesige Schiff in den Hafen einlief. Die Ankunft der „QM2“ entwickelte sich zu einem regelrechten Volksfest mit Livemusik, und zum Ausklang des denkwürdigen Tages stand sogar ein Feuerwerk am Hafen auf dem Programm. Vom Bürgermeister der Hansestadt wurde der Kapitän – im Gegensatz zu seinem Kollegen von der „Cap Anamur“, der direkt ins Gefängnis gebracht worden war – zu einem Empfang eingeladen.

Die 2.620 Bootsinsassen hatten trotz ihres meist fortgeschrittenen Alters die anstrengende Fahrt zum größten Teil gut überstanden und wurden sofort in Bussen und Taxis nach Berlin transportiert. In der Hauptstadt wurden sie in Luxushotels untergebracht, wo man ihnen alle erdenklichen Annehmlichkeiten zuteil werden ließ.

Etwaige Proteste anderer EU-Länder gegen die problemlose und zügige Aufnahme der Boat-People will die Bundesregierung geschlossen ignorieren. „Da können sich die Italiener auf den Kopf stellen“, erklärte Innenminister Otto Schily. Diese neue Art der Behandlung von Schutz Suchenden gelte als Präzedenzfall und werde künftig zur Standardvorgehensweise in vergleichbaren Fällen werden, verlautete aus dem Bundesinnenministerium. Es gehe schließlich um den Ruf Deutschlands. Man wolle der Welt zeigen, dass jeder Mensch hierzulande willkommen sei. Das sei besonders wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik. Die paar Mark für Flüchtlinge seien da gut investiertes Geld.

Die Boat-People jedenfalls genossen ihren Deutschlandbesuch sichtlich. Der Champagner floss in Strömen, und in den Trinksprüchen wurde das Schwesterschiff der „Queen Mary 2“, die „Cap Anamur“, zumindest erwähnt. MICHAEL RINGEL