Ein zusammengebrochenes Leben

Wie ein Richter versuchte, mittels Erpressung von einem Emdener Unternehmer, gegen den ermittelt wurde, Geld einzutreiben, und wie es trotzdem immer wieder nicht reichte, um die Schulden zu bezahlen. Morgen urteilt das Oberlandesgericht Oldenburg über einen merkwürdigen Komplott

In seinen Beruf würde P. nie wieder zurückkehren können, das wusste er. Deshalb bat er um Demission auf eigenen Wunsch

VON FELIX ZIMMERMANN

Was die beiden einst befreundeten P. und K. vorhatten, hätte funktionieren können. Aber was hätte es gebracht? Viel Risiko für P. und am Ende gerade mal 2.500 Euro für jeden von ihnen. Es ist merkwürdig, dass sich Hans-Uwe P., damals Richter am Oberlandesgericht Oldenburg, mit seinem damaligen Finanzberater K. auf dieses Geschäft entweder eingelassen oder es angeleiert hat. Was er tat, würde schwerste Konsequenzen für ihn und die Ausübung seines Berufes haben, wenn es auffliegen würde. Das muss ihm von Anfang an klar gewesen sein.

Seine Frau, Staatsanwältin im ostfriesischen Aurich, bearbeitete das Ermittlungsverfahren gegen einen Unternehmer aus Emden. Dem versprach P. über den Finanzberater K., er könne das Verfahren einstellen, wenn der Unternehmer 5.000 Euro zahle. Eine Art Bearbeitungsgebühr, eine lächerliche Summe, wenn man bedenkt, dass sie dem Abbau eines riesigen Schuldenberges von 1,2 Millionen Euro dienen sollte. Schulden, die den P.s entstanden waren durch den Kauf von Ferienwohnungen auf Juist und Langeroog. Steuersparmodelle, die nicht funktionierten und die P.s in den Abgrund rissen. Gehörige Verzweiflung über die finanzielle Lage muss für den Richter P. die Motivation gewesen sein, anders kann man es nicht erklären. Jeder Cent zählte, auch wenn die Karriere auf dem Spiel steht.

P.s und K.s Plan kam heraus, weil der Unternehmer skeptisch wurde. Er ging zur Polizei, die Zentralstelle für Korruptionsstraftaten der Staatsanwaltschaft Osnabrück ließ Telefone und Mail-Verkehr von P. und K. überwachen. Es dauerte nicht lange, da wurde klar: Die beiden drehen tatsächlich ein Ding. Hat auch P.s Frau damit zu tun? Hat sie ihrem Mann die Ermittlungsakte überlassen, damit der mit seiner Fachkenntnis dafür sorgt, dass sie das Verfahren juristisch haltbar einstellen kann?

Alle drei mussten sich seit dem 13. Januar vor dem Oldenburger Landgericht verantworten. Der Richter P., 56, und der Finanzberater K., 39, wegen versuchter Erpressung, Staatsanwältin P., 51, wegen des fahrlässigen Verrats von Dienstgeheimnissen. Der Richter zusätzlich wegen Betrugs. Er soll von dem ehemaligen Fußball-Nationalspieler Jörg H. ein Darlehen in Höhe von 100.000 Euro erlangt haben, obwohl er gewusst habe, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, dass er angesichts der immensen Schulden das Darlehen samt Zinsen nicht wie verabredet innerhalb eines Jahres würde zurückzahlen können. Weil Finanzberater K. das Darlehen vermittelte und sich trotz eigener Schulden als Bürge ausgab, war er auch in dieser Sache wie P. angeklagt.

Mittlerweile sitzt nur noch der ehemalige Richter P. vor Gericht, beraten von dem erfahrenen Strafverteidiger Bertram Börner aus Hannover, der wie kein anderer souverän Ruhe in das mitunter aufgeheizte Verfahren zu bringen vermochte. Morgen wird das Urteil erwartet.

Das Verfahren gegen P.s Frau wurde eingestellt. Sie muss 200 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Sie will ihren Mann bei dem Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmer um einen juristischen Rat gebeten haben, darüber hinaus sei sie nicht verstrickt gewesen. K. wurde zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Beiden kam zugute, dass sie ein aus Sicht des Gerichts glaubhaftes Geständnis abgelegt hatten und das Gericht so die am ersten Prozesstag getroffene Vereinbarung erfüllen musste: milde Strafe gegen Geständnis. Die Erklärung des Richters P. dagegen wertete das Gericht als nicht glaubhaft. Hätte er seine Verantwortung eingestanden, wäre P. mit einer Bewährungsstrafe von maximal einem Jahr davongekommen. Im Zuschauerraum hatte diese Absprache zu lauten Protesten geführt. P. beharrte darauf, niemanden erpresst oder betrogen zu haben.

Ein Juristenehepaar vor Gericht, darauf wurde dieses Verfahren von Anfang an verengt. Honorige Leute, mit Recht und Gesetz schon von Berufs wegen bestens vertraut. Frau P. sogar kurz vor der Beförderung zur Oberstaatsanwältin, Herr P. mit Prädikatsexamina ins Berufsleben gestartet und auch später exzellent beurteilt, weswegen er dreieinhalb Jahre lang ein Projekt zur Leistungssteigerung der Justizbehörden im Niedersächsischen Justizministerium leitete. Solche Leute tun so etwas nicht. Aber wenn sie es tun, dann ist ihnen Häme sicher. So jedenfalls musste man einige der Reaktionen im Zuschauerraum verstehen. Wobei es sicherlich nicht angemessen war, wenn er der Staatsanwaltschaft Methoden vorwarf, wie sie „weiter östlich“ üblich seien.

P. fühlte sich als Opfer, seitdem er am 27. September 2007 vormittags um 10 Uhr vor seinem Büro im Oberlandesgericht von Ermittlern mit einem Durchsuchungsbefehl „abgefangen“ wurde, wie er es nennt. Er vermutet, die Uhrzeit sei nicht zufällig gewählt gewesen; da herrsche reger Betrieb in den OLG-Fluren, jeder, auch seine Kollegen, sollten sehen, was ihm widerfahre. P. wurde zunächst in ein Besprechungszimmer mitgenommen und dann erkennungsdienstlich behandelt. Es muss eine Schmach für ihn gewesen sein. Als P. am jüngsten Verhandlungstag seinen Lebensweg schilderte, sagte er, in dem Moment sei ihm klar geworden, dass er nie wieder als Richter in das OLG würde zurückkehren können. Er habe sogar daran gedacht, sich aus einem Fenster zu stürzen. Es war der Moment, in dem das Leben P.s, das zu dem Zeitpunkt längst eine fragile Konstruktion war, zusammenbrach.

Er und seine Frau hatten diesen Berg an Schulden vor Augen, er wurde trotz ihres guten Gehalts – einer Bilanzbuchhalterin des Landeskriminalamtes zufolge 9.500 Euro netto – nicht kleiner. Auch nicht durch die umfangreichen Nebentätigkeiten P.s, die er sich neben seiner Tätigkeit als Richter und im Ministerium an Land gezogen hatte. Er sagte, er habe mitunter nur drei Stunden geschlafen, um möglichst viel zu schaffen. Körperlich und seelisch sei er völlig erledigt gewesen, habe auch ärztlicher Hilfe bedurft, aber er musste weitermachen, um mehr Geld zu verdienen, immer noch mehr Geld. Er steigerte die Honorare aus Nebentätigkeiten von anfangs 5.000 auf über 56.000 Euro im Jahr, aber auch das langte nicht. Die Schulden wurden trotz des Verkaufs zweier Wohnungen nicht weniger. Immer neue Kredite mussten her, Löcher hier gestopft werden, die dort neue Schlunde rissen.

Gemeinsam mit K., dem Finanzberater, der am Ende mit 37 Konten der P.s bei 16 Banken jonglierte, muss dem damaligen Richter P. das Ermittlungsverfahren gegen den Emder Unternehmer wie ein Notnagel vorgekommen sein. Die Akten hatte seine Frau, er würde sie durcharbeiten und die Einstellung in die Wege leiten. Für 2.500 Euro, immerhin. K., so ergaben es die Telefonmitschnitte, nahm Kontakt mit dem Unternehmer auf – mit P. und dessen Expertise im Hintergrund. K. setzte den Unternehmer immer wieder unter Druck, sprach davon, wie schädigend ein Verfahren für sein Unternehmen sein könne, wie teuer es werde, teurer als die vereinbarten 5.000 Euro. Nur müsse er bald zahlen, dafür bekomme er „höchstes juristisches Niveau, das ist Bundesliga, wie ein Märchen aus 1001 Nacht“, hörte man K. dem Unternehmer gegenüber etwa am Telefon sagen.

Erpressung setzt die Androhung eines „empfindlichen Übels“ voraus. Es wird interessant sein, wie in den Plädoyers darauf eingegangen wird, dass P. in einem der Telefonate sagte, wenn der Unternehmer wie vereinbart handele, dann kriege er das gewünschte Ergebnis. Wenn er aber nicht zahle, „dann mache ich da nichts mehr“, dann sei der Unternehmer wieder auf hoher See.

Bleibt der Betrugsvorwurf. Im Prozess führte der zum Auftritt des ehemaligen Fußball-Nationalspielers H. als Zeuge. 100.000 Euro Darlehen hatte er P. gewährt. Der Vorwurf lautet, dass P. gewusst habe, das Geld nicht in der vereinbarten Zeit zurückzahlen zu können. K., der auch H. in finanziellen Dingen beriet, hatte P. das Darlehen vermittelt, und H. hatte das Geld offenbar in großer Arglosigkeit gegeben, die in etwa so groß gewesen sein dürfte wie die Ahnungslosigkeit, mit der er nun aussagte. Allein die Angabe P.s gegenüber einer seiner Banken, er berate den ehemaligen Fußballer juristisch, die 100.000 Euro seien Teil seines Honorars, wies er zurück. Das sei „totaler Quatsch“. Ansonsten erinnerte sich H. an kaum etwas, auch nicht daran, dass K. ihm von einer „finanziellen Schieflage“ des P. berichtet habe. Zwei Polizisten, die H. vernommen hatten, stellten das anders da. Ihnen hatte H. genau das gesagt.

P. verteidigte sich und verwies auf hohe Einnahmen aus einem Beratervertrag, die noch ausstünden. Sein Mandant habe in Bayern zu Unrecht in U-Haft gesessen, dafür werde er entschädigt. Er sollte zehn Prozent der erhofften Entschädigungssumme bekommen. Das wären zwei Millionen Euro, das sei auch als Sicherheit in den Darlehensvertrag aufgenommen worden.

Das Gericht wird nun entscheiden müssen, ob P. tatsächlich betrogen und erpresst hat. Nach der umfangreichen Beweisaufnahme ist das zweifelhaft. In seinen Beruf aber wird P. nie wieder zurückkehren können. Der Entscheidung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn kam er zuvor, indem er auf eigenen Wunsch aus dem Dienst entlassen wurde. Seine Frau wurde von der Staatsanwaltschaft Aurich abgezogen und in den Innendienst nach Südniedersachsen versetzt. Der Unternehmer, wegen dessen 5.000 Euro sich P. und K. so sehr in Schwierigkeiten gebracht haben, wurde längst freigesprochen.