Wenn das Geld beim Postmann klingelt

Der Steglitzer Postbote B. ertastete in Briefen EC-Karten und zugehörige Geheimzahlen. Damit erleichterte er Tag für Tag fremde Konten, um seiner Spielsucht am einarmigen Banditen zu frönen. Er verjubelte 70.000 Mark

Dies ist eine Geschichte, die von einem Geldkreislauf handelt. Am Anfang ist die Bank. Die schickt EC-Karten und PIN-Nummern zu Leuten, die gern bequem Geld abheben – wie der etwas behäbige und gemütliche Herr T. Der musste gestern als Zeuge vor einem Berliner Schöffengericht aussagen. Denn als Dritter tritt der Postbote B. in den Kreislauf des Geldes, welcher damit einen ungewöhnlichen Schlenker bekommt. Herr B. ist angeklagt, weil er Karte und PIN nicht austrug, sondern für sich behielt und damit Geld abhob, insgesamt 40-mal.

Das lief so: B. durchsuchte die Kiepen – so nennt man die gelben Kästen, in denen die Post ihre Briefe vorsortiert –, ertastete die Plastikkarten und identifizierte die Briefe mit den Geheimzahlen in den Umschlägen. Schwer sei das nicht gewesen, sagt B. Die Kiepen stünden immer auf Tischen in den Gängen der Post, jeder könne daran, alles sei sehr unübersichtlich.

Gelegenheit macht Postdiebe. Im Zustellbezirk Steglitz ist das nicht nur eine abgewandelte Binse. Mindestens zwei weitere Briefträger verfuhren wie Herr B. Einer wurde vor der Tür des Postamtes angesprochen, ob er nicht ein paar Kreditkarten beschaffen könne, für 300 Mark das Stück. Einem anderen wurde in der U9 ein ähnliches Anliegen vorgetragen. Dass man im Steglitzer Postamt leicht an Geld über Kreditkarten über Briefe kommt, das hat sich anscheinend herumgesprochen.

B. hat die Karten nicht verkauft, beteuert er. Wenn B. beide Briefe hatte, den mit der Karte und den mit der Geheimzahl, dann ging er damit zur Bank und hob Tag für Tag eine runde Summe ab. Er bereut das. „Am 18., 19., 20. und 21. Februar 2001 hob er jeweils 1.000 Mark ab“, liest der Staatsanwalt, da weint B. noch leise. „Am 27., 28., 29. November 2001 jeweils 1.000 Mark“ B. sinkt in sich zusammen, ein Schriftstück in seiner Hand zittert heftig, die andere schlägt er sich vor die Augen.

Jetzt darf Herr B. seine Motivation erklären. Er macht das nicht selbst, denn er hatte Lymphdrüsenkrebs und deswegen nun keinen Gaumen mehr. Sein Anwalt spricht für ihn. B. war spielsüchtig. „17 und 4“ war sein Spiel, der einarmige Bandit seine Maschine. „Wenn mir kurz vor einer gewinnbringenden Kombination das Geld ausging, dann habe ich sofort mit einer der Kreditkarten Geld abgehoben“, liest der Anwalt für B. vor. Frau und Tochter von B. bekamen nichts davon mit. Er erzählte ihnen, dass er ins „Get fit“ gehe. Zur Tarnung nahm er seine Sportsachen in die Spielbank mit und machte sie mit Wasser nass, bevor er wieder nach Hause kam, als Schweißersatz.

Der Richter unterbricht an dieser Stelle und fordert zwei Rentner auf, das Tuscheln einzustellen. „Wir regen uns immer noch über den Leichtsinn der Banken auf“, ruft die Dame dem Richter entgegen. Herr T., der Zeuge, hatte berichtet, dass er die Bank gebeten hatte, Karten und PIN persönlich abzuholen, das aber erst durfte, nachdem schon zwei Kreditkarten und zwei Geheimzahlen abhanden gekommen waren – und 3.110 Euro. Die Bank schickt nämlich lieber per Post. Einschreibbriefe, mit denen sie Versuchungen von Briefträgern wie Herrn B. fern halten könnte, sind ihr zu teuer. Lieber entschädigt sie die Kunden „auf Heller und Cent“, wie der Zeuge T. sagt, und kassiert ihren eigenen Schaden dann von der Versicherung.

So schließt sich der Geldkreis wieder: Von den 70.000 Mark, die Herr B. verjubelte, hat die Spielbank rund 80 Prozent an den Staat abgeführt. Die Versicherungen, die die 70.000 Mark Schaden übernahmen, müssen dagegen seit 2001 viel weniger Körperschaftssteuern zahlen. Der Prozess wird am nächsten Mittwoch fortgesetzt.

MAREKE ADEN