Der Hexenmeister

Seine provokanten Bildnisse haben den realen Sozialismus überlebt:Der Maler Clemens Gröszer sieht sich als „Pendler zwischen den Welten“

von KATHRIN SCHRADER

Clemens Gröszers Hexen widerstehen dem Druck der Kollektivierung. Ihre Kleidung ist provokante Abgrenzung, Festung, mitunter Versteck. Die aufmüpfigen Individualistinnen behagten den Kunstwächtern der DDR nicht. Galeristen, die Gröszer zeigten, mussten Nachweise erbringen, dass es sich bei solcherart Werken um Kunst handelt. Einigen seiner Gemälde wurde dieser Anspruch sofort verweigert.

In den Achtzigerjahren, als Maler Gröszer bereits auf der Biennale in Venedig und bei Bodo Niemann in Westberlin gezeigt wurde, fühlte er sich von der Berliner Schule beiseite gestellt.

Seine Hexen, Stachelwesen mit absurden Gliedern und Mandelaugen, haben den realen Sozialismus überlebt. Man trifft sie noch immer in der U-Bahn und auf dem Arbeitsamt. Sie sitzen an der Kasse im Supermarkt. Sie wehen lüstern durch die Nacht.

Clemens Gröszer in der Gemäldegalerie Alte Meister unterwegs zu einem Arbeitstreffen. Zielgerichtet steuert er auf die deutschen Renaissancemaler zu, bemerkt auf dem Weg, dass ein Bild fehlt, stoppt, sieht sich fahrig um, zweifelt und läuft weiter. Er streicht die Haare mit beiden Händen zurück. Seine Finger sind mit bizarren Ringen beladen. Der Hexenmeister trägt die übliche bürgerliche Verkleidung: heller Sommeranzug, Fliege und Leinenweste.

Als kleiner Junge faszinierten ihn die dünn gezupften Brauen seiner Mutter. Heute beschäftigt ihn das Repertoire der Masken, von dünnen Vorwänden bis zu dicken Mauern, Kostümierungen und Prothesen, die scheinbarem Mangel abhelfen.

1951 in Berlin geboren, studierte Gröszer an der Kunsthochschule Weißensee Malerei und Plastik. 1980 erhielt er ein Stipendium der Akademie der Künste der DDR und wurde Schüler von Wieland Förster. In dieser Zeit entstand die erste Fassung der romantischen Marin à cholie. Kurz vor der Eröffnung der Abschlussausstellung wurde das Bild wieder abgehängt. Dies sei kein gutes Bild, sagte man ihm.

Im Laufe der Jahre entstanden weitere Versionen der Marin à cholie. Das Motiv der Zauberin, die Gröszer mit immer der gleichen roten Plastiktüte auf dem Haupt, nackt, mitunter maskiert, in wechselnde politische Landschaften setzt, wird zum Experimentierfeld des Dialogs mit der sich stets verändernden Wirklichkeit und Spiegel des eigenen Befindens. Im Sumpf des 11. September zersplittert Marin à cholie. Bis auf weiteres.

Clemens Gröszer liebt die Musik von Bach und Schubert und seinen teuren Wagen. Durch Parkverbote in der City fühlt er sich persönlich beleidigt. Als „Pendler zwischen den Welten“ beschreibt er sich. Sein Ziel scheint es, im Schweben zu bleiben, jedoch anhalten zu können und Beobachter zu sein. „Ich bin immer ein bisschen daneben.“ Sperriges Lachen.

Clemens Gröszer während des Arbeitstreffens mit Cranach. Er steht lange vor der „Lucretia“ und sagt immer wieder: „Mein Gott!“ Die Demut in den Werken von Cranach, Holbein und Dürer kann unserem Zeitgeist nicht mehr entwachsen. „Man kann seiner Zeit nicht entfliehen“, sagt Gröszer. „Sie beherrscht einen, ob man will oder nicht.“ Der Maler sucht vielmehr das Geheimnis der Unsterblichkeit, Lucretias Atem und ihren Puls. „So ein Bild kann heute nur schwer entstehen. Da sind zu viele Störungen dazwischen: Hiroschima, Tschernobyl, der 11. September.“

Rollentausch. Wir klicken uns durch die Flut animierter Bilder. Das Bilder-Mantra der Flugzeuge, die in die Twin Towers rasen, erstarrt zur Maske wie die Visagen der Manager, die sich vor wichtigen Verhandlungen die Gesichtsmuskeln lähmen lassen, damit kein Stirnrunzeln ihre Unsicherheit verrät.

Gröszer ringt der Erstarrung Atem ab. Wir leben. Marin à cholie ist am 11. September verglüht, doch ihre Geschichte geht weiter. Die Maskerade schreitet fort. Clemens Gröszer, der Diabolospieler mittendrin, ist und bleibt, was er war: ein faszinierter Beobachter.

Drei von Gröszers Werken sind in der Ausstellung „Kunst in der DDR“ der Nationalgalerie zu sehen