Die Entität der Ente als endliche Entelechie

Das Restaurant „Peking Duck“ in Hamburg zeigt eine Werkschau des weltbekannten Entenfotografen Albert Warnke

Sein Entschluss, sich der Entenfotografie zuzuwenden, hat mit einem Urerlebnis zu tun, von dem er eigentlich nur engsten Freunden berichtet. In den Morgenstunden des 11. Mai 1989, Tau perlte von Hamburgs Straßen, überquerte Albert Warnke die Isebek auf der Brücke am Eppendorfer Baum und warf einen Blick hinunter auf den Kanal. In diesem Augenblick schwamm ihm eine stolze Entenflottille entgegen: Herr Kapitän und die erste Offizierin vorweg, drei Leichtmatrosen hintan. Dieser Anblick rührte ihn sofort zu Glückstränen. Gleichzeitig verdross es ihn zutiefst, keinen Fotoapparat mit sich zu führen, um den erhabenen Moment festzuhalten. Seither sieht man ihn nirgendwo mehr ohne seine Leica.

Heute gilt er als „die treibende Kraft der weltweiten Entenfoto-Szene.“ Seine Bilder hängen in den berühmtesten Galerien dieser Welt, in London, Paris, New York und in Tokio; seine Enten zieren die Titelseiten des Time Magazine, der Iswestja und der 2CV Today. Trotzdem ist ihm der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen. Als man ihm anbot, im Hamburger Restaurant „Peking Duck“ ein paar seiner bedeutendsten Werke auszustellen, hat er begeistert zugestimmt. „Die Pekingente durfte im alten China ausschließlich für den Kaiser zubereitet werden. Und das rettete viele Entenleben“, kolportiert Warnke. Er selbst isst selbstverständlich keine Enten, er bevorzugt Lammcarrée sowie knusprige Wachteln. Sein Lieblingsinstrument ist die Oboe, weil ihr Klang – so Warnke – dem Timbre der Entenstimme nachempfunden sei.

Dennoch ist er kein Krachmacher, er sieht sich eher als stiller Beobachter. Er hasst Ausstellungseröffnungen, die seinem Werk gelten. Oft betrinkt er sich noch vor Beginn so maßlos, dass er nicht in der Lage ist, auch nur drei gerade Worte an die Gäste zu richten. In der Öffentlichkeit sieht man ihn nur selten – und wenn, dann meist im Hintergrund. „Der Hintergrund“, sagt er, „ist der sicherste Grund.“

Heute jedoch beantwortet er geduldig die Fragen der Vernissagegäste. Zumindest bemüht er sich: „Ist schließlich meine Heimatstadt. Nirgends gibt es so viele Brücken wie in Hamburg, mehr noch als in Venedig. Überall Enten! Und gucken Sie sich die Bildungsbürgerinnen hier mal an, irgendwie sind das doch auch alles Enten.“ Mit leicht getrübtem Blick lächelt Albert Warnke. Aber noch bleibt er freundlich – auch wenn er zum 43. Mal den tieferen Sinn seine Bilder erläutern soll.

Der Zugang zu seinen Werken ist in der Tat nicht ganz einfach und lässt enormen Spielraum für vielfältige Interpretationen. Seine Enten scheinen nahezu auf dem gekräuselten Wasser zu schweben, die filigrane Leichtigkeit kontrapunktiert die urbane Schwere der Metropolen mit ihren Hochhäusern, Betontürmen und klotzigen Fassaden. In einem Bild gelingt ihm sogar die Synthese beider Prinzipien, indem er die Ente vor dem gekräuselten Spiegelbild einer Altbaufassade portraitiert. Die oft als niedere Kreatur missachtete Ente erscheint in Warnkes Werk als ein autonom im öffentlichen Raum agierendes Mitgeschöpf, er lenkt buchstäblich den Blick auf die „Entität“ der Ente – das Dasein eines Dinges im Unterschied zu seinem Wesen. Für die schwimmenden Vögel des Albert Warnke scheint der Widerspruch von „Entität“ und „Identität“ nicht zu existieren.

Für seine Kritiker bewegt sich Warnke auf dem messerscharfen Grat zwischen „Kunst“ und „sozialpathologischer Psychose“, wie ihm unlängst die österreichische Zeitschrift Psychopathologie und Kunst bescheinigte. Doch was treibt ihn um – den Mann, der morgens in aller Früh mit seiner alten Leica in hohen Gummistiefeln durch das Schilf pirscht? Ist es die Sehnsucht nach absoluter Ruhe und Seelenfrieden? Was bewegt ihn, wenn er vor jeder Aufnahme mit dem Leicameter die Belichtung bestimmt? „Mariä Lichtmess“ nennt er die ständige Suche nach der richtigen Blende, ohne die überhaupt nichts geht. Automatische oder gar digitale Kameras lehnt er kategorisch ab: „Da bin ich ja von Batterien abhängig.“ Auch Teleobjektive benutzt er nicht, Warnke braucht den unmittelbaren Augenkontakt – selbst wenn er bisweilen angefaucht wird.

Albert Warnke ficht der ganze Rummel um seine Person und die Bilder nicht an, selbst fotografieren lässt sich der Fotograf nur äußerst ungern. Er lebt seit einigen Jahren zurückgezogen mit seiner Assistentin Elisabeth Holtz in harmonischer Beziehung in Hamburg-Eppendorf: „Aber nur wegen der Enten in der Isebek!“ Und wenn Besuch kommt, präsentiert er stolz seine Sammlung Donald-Duck-Comics des Zeichners Carl Barks. Selbstverständlich besitzt er sämtliche Hefte. DIETER GRÖNLING