Polen entsetzt über Vertriebenen-Gedenkfeier

Am Montagabend gedachte der Bund der Vertriebenen des Warschauer Aufstands gegen die deutschen Besatzer vor 60 Jahren. In Polen empört sich die Öffentlichkeit über die „verlogene Veranstaltung“. Ralph Giordano verteidigt sie

BERLIN/WARSCHAU taz ■ Die Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen (BdV) war ein Skandal, noch bevor sie begonnen hatte – und zwar in Polen, wo sie deutlich mehr Aufmerksamkeit erregte als hierzulande. Unter dem Titel „Empathie – Der Weg zum Miteinander. 60 Jahre Warschauer Aufstand“ lud der BdV am Montagabend in den „Französischen Dom“ auf dem Berliner Gendarmenmarkt zu einer Gedenkfeier zum Kampf der polnischen Untergrundarmee Armia Krajowa (Heimatarmee) gegen die NS-Besatzer.

Ab dem 1. August 1944 kämpften etwa 40.000 Mitglieder der Heimatarmee gegen 13.000 bis 20.000 waffentechnisch überlegene Deutsche 63 Tage lang um die polnische Hauptstadt – übrigens nicht zu verwechseln mit dem Aufstand im jüdischen Getto etwa ein Jahr zuvor. Dabei starben 200.000 Polen. Nach dem Sieg der Deutschen wurde Warschau systematisch zerstört, hunderttausende vertrieben.

Was empört viele Polen daran, wenn ausgerechnet der umstrittene BdV dieser Tragödie im Nachbarland gedenkt – aus „Empathie“ eben? „Dies ist eine verlogene Veranstaltung einer verlogenen Person“, schnaubte Władysław Bartoszewski im polnischen Fernsehen. Der Ex-Außenminister Polens, Auschwitz-Häftling und Kämpfer des Warschauer Aufstandes 1944 gilt in Polen als moralische Instanz. Schon vor Wochen hatten Bartoszewski, der Opferverband der Warschauer Aufständischen und viele polnische Politiker und Publizisten gegen die BdV-Veranstaltung protestiert. Dem Verdikt „Wir Polen wünschen nicht, dass sich völlig inkompetente Staatsbürger Deutschlands in unsere Angelegenheiten einmischen“ schlossen sich die meisten Polen an. Andrzej Byrt, Polens Botschafter an der Spree, protestierte polnischen Medienberichten zufolge schon im Vorfeld bei der BdV-Vorsitzenden Erika Steinbach gegen die Veranstaltung.

Da der BdV seit Jahren das in Polen zurückgelassene Eigentum zurückfordert und nun ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin plant, nimmt Erika Steinbach heute kaum ein überlebender Pole das an den Tag gelegte Mitgefühl ab. Die Deutschen würden die von den Deutschen ermordeten Polen furchtbar traurig beweinen, zugleich aber fordern, dass die Polen die Rechnung für die Kriegsschäden zahlten, die die Deutschen angerichtet hätten. Auf solches Mitleid könne man verzichten – so der allgemeine Tenor in Polen.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, und der Publizist und Holocaust-Überlebende Ralph Giordano hielten Reden bei der Veranstaltung. Polens Vizeaußenminister Adam Daniel Rotfeld meinte, diese beiden honorigen Männer seien manipuliert und von Erika Steinbach bewusst eingebunden worden. Sie brauche diese Personen, um für ihre Initiative in Deutschland Unterstützung zu gewinnen.

Unter Beifall protestierte Giordano auf der Gedenkfeier dagegen, dass Erika Steinbach „der gute Wille abgesprochen wird“. Auch er habe einen Lernprozess in Sachen Empathie hinter sich. Die Veranstaltung sei eine Demonstration dafür, dass sich in Steinbachs Ägide beim BdV etwas zu verändern begonnen habe. P. GESSLER, G. LESSER