plagen des sommers
: Schweine, die die Sau rauslassen

Die unerträgliche Gewissheit, einmal dem Keiler ins Auge zu sehen

Die Radlerin liegt jetzt im Krankenhaus. Eine Wildschweinrotte hatte ihren Weg bei Möhnesee in Nordrhein-Westfalen gekreuzt. Den SV Grün-Weiß Brieselang besuchten Wildschweine gleich dreimal. 5.000 Euro Schaden – jetzt sucht der Brandenburger Verein einen Sponsor. In Eberbach (Baden-Württemberg) ließen Wildschweine in einer Schule die Sau raus. Den „Einbruch“ klärte die Polizei anhand „zurückgelassener“ Borsten auf. In Sachsen-Anhalt verwüsteten die Schwarzkittel gerade einen Zeltplatz und versetzten die Camper in helle Aufregung.

Deutschland hat sich zum Paradies für Wildscheine entwickelt. „Der Schwarzwildbestand liegt heute rund 30-mal höher als vor dem Zweiten Weltkrieg“, schätzt Schwarzwildexperte Norbert Happ. Schuld sei der Stress, den die Zivilisation Buchen und Eiche macht. Happ: „Dadurch entwickeln die Bäume mehr Früchte, versorgen Bachen und Keiler mit einer reich gedeckten Flur.“ Neben Kräutern, Knollen und Wurzeln stehen Würmer, Mäuse, Jungvögel, Schlangen und manchmal Rehkitze auf dem Speiseplan. Zum Leidwesen der Landwirte hält sich Sus scrofa – so der lateinische Name – auch an Maisfeldern und Rübenäckern schadlos. Doch tragen gerade die Bauern zur Populationsexplosion bei. „Früher gebaren die Bachen nur einmal im Jahr Junge. Weil es heute aber so viel Nahrung gibt, lassen sie sich ein zweites Mal im Jahr decken“, so Anke Nuy vom Deutschen Jagdverband.

Wie viele Wildschweine es sind, weiß keiner so genau. Happ schätzt, dass allein in Nordrhein-Westfalen rund 250.000 Tiere leben. „Schätzungen sind schwierig“, sagt Anke Nuy. Auf der Suche nach Nahrung würden die Schweine oft 50 Kilometer pro Nacht wandern. Wie groß die Population geworden sei, könne man allenfalls an der Zahl der gejagten Tieren ablesen: „2001 wurden 530.000 Wildschweine erlegt – ein Drittel mehr als vor zehn Jahren.“

Die Bejagung sei schwierig, so Happ. Die Tiere lernen schnell, können Gefahren genau einschätzen. „Die haben ein elefantenähnliches Gedächtnis.“ Ein Abschuss der alten Muttertiere bringe eher Schaden als Nutzen. Der matriarchalisch organisierten Rotte – Keiler sind Einzelgänger – fehle dann die leitende Hand. Zudem sorgten die Alttiere für eine Populationskontrolle, sie unterdrücken die Paarungsbereitschaft der Jungen.

Wildschweine können bis zu 21 Jahre alt werden. Fruchtreif sind sie schon im zweiten Jahr ihres Lebens. „Ein gut genährtes Jungtier kann nach zwölf Monaten Nachwuchs kriegen“, sagt Happ. Bei 100 Wildscheinen kämen pro Jahr etwa 200 dazu. Diese gewaltige Population ist ein Grund für die zunehmenden ungewollten Mensch-Tier-Begegnungen. Dabei sind Wildschweine nicht aggressiv. „Sie sind nur sehr mutig“, sagt Happ. Fühlt sich ein Tier in die Enge getrieben, ist äußerste Vorsicht ratsam. „Armknochen können sie ohne Probleme durchbeißen.“ Bachen sind wegen der Zuständigkeit für den Nachwuchs gefährlicher. Happ rät bei Bekanntschaft zur „Flucht nach vorn“: Krach schlagen, rumturnen, sich größer machen … RENI