Müller will Steinkohle abschieben

Der Ex-Wirtschaftsminister und jetzige Chef der RAG – ehemals Ruhrkohle AG – stellt erstmals die deutsche Steinkohleförderung zur Disposition. Das soll natürlich nicht das Ende dieses Energieträgers sein. Der Bund soll übernehmen, der Steuerzahler zahlen

aus Berlin NICK REIMER

Der Vorstoß war außerordentlich gut platziert. Bevor sich gestern Abend die Spitzen der vier größten deutschen Energiekonzerne mit Kanzler Schröder und Wirtschaftsminister Clement trafen, meldete sich Schröders Exwirtschaftsminister zu Wort. Via Financial Times erklärte Werner Müller – heute Chef des nicht eingeladenen Energieriesen RAG: „Wenn man über die Fortentwicklung der Rahmenvereinbarung von 1997 konsequent nachdenkt, wird man auf die Frage kommen, ob die deutsche Steinkohle immer unter dem Dach des RAG-Konzerns bleiben muss.“ Normalsterblichen sagt dieser Schwurbelsatz nicht viel. Tatsächlich aber ist er ein Molotow-Cocktail: Müller stellt die deutsche Steinkohle in Frage.

Die RAG, die früher Ruhrkohle AG hieß, wurde 1968 gegründet, um die nationale Steinkohleförderung Westdeutschlands zu sichern. Ein teures Unternehmen: Weil die Flöze in Tiefen zwischen 1.000 und 5.000 Metern liegen, ist der Abbau weit kostenintensiver als in anderen Steinkohle fördernden Ländern. Doch das war damals sekundär, es ging um strategische Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit.

Heute ist das anders: 40 Euro je Tonne kostet Steinkohle auf dem Markt, deutsche Kohle hat Förderkosten von 150 Euro je Tonne. Obwohl fast 60 Prozent der RAG-Beschäftigten im Sektor „nationaler Bergbau“ arbeiten, kommt von dort nicht einmal mehr ein Viertel des Konzernumsatzes. Deshalb ist dieser Sektor – angesiedelt in der Tochter Deutsche Steinkohle – auf Schrumpfung programmiert. Gab der Steinkohlebergbau 1957 noch 600.000 Menschen Lohn und Brot, so waren es vor zehn Jahren mehr als 100.000. Heute sind noch knapp 43.000 Steinkohlekumpel auf zehn Zechen beschäftigt. Und wurden 1990 noch 71 Millionen Jahrestonnen gefördert, so sind es heute nur noch 27 Millionen. Aus Steinkohle werden heute gerade mal 6 Prozent des Stroms produziert.

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen in zehn Jahren nur noch 16 Millionen Jahrestonnen gefördert werden. Dies hatte Kanzler Schröder angekündigt, als er Mitte Juli die geplante Gegenfinanzierung zu Steuerentlastungen vorstellte. Nach Schätzungen der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie heißt dies, dass mehr als jeder zweite Job wegfallen würde – es gäbe dann noch 20.000 Beschäftigte.

Das geht den Grünen nicht weit genug. Sie hatten sich dafür eingesetzt, ab 2010 jegliche Subvention der Steinkohle zu streichen. Im Jahr 2001 wurde jeder einzelne Kumpel mit 82.000 Euro subventioniert. Damit entfielen 30 Prozent aller Subventionen des Bundes für die gewerbliche Wirtschaft auf die Steinkohle – summa summarum gut 3,5 Milliarden Euro.

Nach Lesart des neuen RAG-Chefs ist dieses Geld aber nicht als Subvention zu betrachten. Müller: „Wir produzieren Energiesicherheit. Auftraggeber ist die öffentliche Hand. Wir produzieren in dem bestellten Ausmaß.“ Der Exwirtschaftsminister will, dass deutsche Steinkohle auf Dauer mehr als 10 Prozent der inländischen Stromerzeugung sichern soll. Dafür sei es nötig, 20 Millionen Tonnen pro Jahr zu fördern.

Im Frühsommer hatte er sich noch „zuversichtlich zu den anstehenden Verhandlungen über die Kohlebeihilfen“ geäußert. Jetzt probiert er es mit einem Paukenschlag. Müller argumentiert, sein Konzern sei vertraglich verpflichtet, aus den Nicht-Kohle-Sparten jährlich mindestens 102 Millionen Euro querzufinanzieren. Im letzten Jahr habe diese Summe aber bei 400 Millionen gelegen. Eine Belastung, die der RAG-Chef gern los wäre: Die Tochter Deutsche Steinkohle solle in Staatsbesitz wandern.