Die Deutschland AG lebt weiter

Eine neue Studie belegt: Die 10 Aufsichtsräte mit den meisten und wichtigsten Funktionen kontrollieren 22 der größten deutschen Unternehmen mit

aus Berlin BEATE WILLMS

Vor einer Woche feierte Ulrich Hartmann seinen 65. Geburtstag und damit den Eintritt ins rentenfähige Alter. Am 21. Dezember wird Manfred Schneider folgen. Karl-Hermann Baumann hat den Termin bereits vor drei Jahren hinter sich gebracht. Gemeinsam ist den drei Männern, dass sie von einem ruhigen Lebensabend noch weit entfernt sind. Hartmann führte bis vor kurzem den Energiekonzern E.on, Schneider war Vorstandsvorsitzender der Bayer AG und Baumann Finanzvorstand bei Siemens. Die drei ehemaligen Spitzenmanager sind heute die wohl einflussreichsten Männer Deutschlands. Sie sitzen in den Aufsichtsräten von 15 der 30 DAX-Unternehmen. An der Quelle der Macht. Wo Vorstände eingestellt oder gefeuert, Firmenstrategien besiegelt werden.

Schneider führt in den Aufsichtsräten von Bayer und Linde den Vorsitz und hat ein Aufsichtsratsmandat bei der Allianz, DaimlerChrysler, Metro, RWE und TUI. Baumann ist Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens und Mitglied in den Kontrollgremien von Deutsche Bank, E.on, Linde, Schering sowie ThyssenKrupp. Hartmann ist Oberkontrolleur von E.on und der Münchner Rück, sowie Aufsichtsratsmitglied bei der Deutschen Bank, der Lufthansa und Henkel. Verwirrend? Sicherlich. Aber auch Prinzip.

Denn die Aufzählung ließe sich mit anderen weiter treiben. Die Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) hat gestern zum baldigen Ende der Hauptversammlungssaison eine Studie über die Kontrolleure der DAX-Unternehmen vorgelegt. Ergebnis: Die zehn Aufsichtsräte mit den meisten und wichtigsten Funktionen kontrollieren 22 der größten deutschen Unternehmen mit.

Wer kann da vom „Ende der Deutschland AG“ sprechen, das die rot-grüne Bundesregierung vor gut drei Jahren angekündigt hatte? Damals hatte sie den großen Konzernen den Verkauf von Beteiligungen schmackhaft zu machen versucht, indem sie den Gewinn steuerfrei stellte. Tatsächlich haben sich die finanziellen Verflechtungen seither ein wenig gelichtet. Doch Kungelei gibt es weiterhin. Und die ist vor allem Sache deutscher Männer. Trotz zunehmender Globalisierung kommen nur 7 Prozent der von den Anteilseignern gewählten Kontrolleure aus dem Ausland.

Und unter den 50 einflussreichsten Aufsichtsräten im Ranking der DSW finden sich gerade mal 2 Frauen: Allensbach-Geschäftsführerin Renate Köcher, die über die Geschicke von Allianz, BASF und MAN wacht, sowie Quandt-Tochter Susanne Klatten, nicht nur reichste deutsche Frau, sondern auch Aufsichtsratsmitglied bei BMW und Altana.

Auch der vor einem Jahr vorgestellte Corporate Governance Kodex, der die Aktienkultur in Deutschland voranbringen und das Vertrauen in die Unternehmen wieder herstellen sollte, hilft hier offenbar nicht weiter. Zwar sitzen inzwischen weniger aktive Vorstände in den Kontrollgremien, so dass sie sich nicht mehr nur wechselseitig kontrollieren. „Der Generationenwechsel hat auch einen Trend zum Berufsaufsichtsrat mit sich gebracht“, sagt DSW-Hauptgeschäftsführer Ulrich Hocker. Aber die Tendenz ehemaliger Vorstandschefs, sich nach dem Rücktritt den obersten Aufsichtsratsposten zu sichern, ist ungebremst. Hier wünschen sich sogar die Großaktionärsvertreter, dass das künftig eine zu begründende Ausnahme wird.

Trotz allem sind es nicht die Probleme auf der Anteilseignerbank, die die Diskussion um den Aufsichtsrat beherrschen. Gerhard Cromme, der die Regierungskommission Corporate Governance leitet und selbst inner- und außerhalb des DAX zehn Aufsichtsratsmandate innehat, Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, und jetzt auch die DSW kritisieren statt dessen die paritätische Mitbestimmung, die in Unternehmen ab 2.000 Beschäftigten gilt. Wenn Arbeitnehmervertreter oder gar Gewerkschafter zu starken Einfluss auf die Unternehmensführung hätten, gefährde das die Unabhängigkeit und Professionalität der Aufsichtsratsarbeit, so lautet die übereinstimmende Argumentation.