Schröder: Nicht nur Offiziere opponierten

Bei den Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag des Hitler-Attentats würdigt der Bundeskanzler auch Widerständler, die nicht zum Offizierskorps gehörten. Sozialdemokraten, Kommunisten, Konservative und Christen hätten sich schon ab 1933 widersetzt

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat bei seiner Gedenkrede zum 20. Juli 1944 die Zweifel an einem ungebrochenen Geschichtsbild in den Mittelpunkt gestellt. Damit trat Schröder zum 60. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler einer Verengung der Erinnerung auf den 20. Juli entgegen. Gleich zu Beginn seiner etwa halbstündigen Ansprache erinnerte er daran, „dass der Widerstand gegen die Gewaltherrschaft nicht erst 1944 begonnen hatte, als die Niederlage Hitlerdeutschlands im Krieg bereits besiegelt war“.

Die Gedenkveranstaltung der Bundesregierung dauerte gestern von 12 Uhr bis 12 Uhr 50 und fiel damit kürzer aus, als das für den Abend geplante Gelöbnis von Bundeswehrsoldaten in Anwesenheit von Schröder und Bundespräsident Horst Köhler. Beide Veranstaltungen fanden unter extremen Sicherheitsvorkehrungen im so genannten Bendlerblock statt, in dem 1944 mehrere der Offiziere um Claus Schenk Graf von Stauffenberg erschossen wurden. Die Gelöbnisrede sollte der niederländische Ministerpräsident Balkenende halten. Ob es, wie bei manchen Gelöbnissen vergangener Jahre, zu spektakulären Störmanövern von Militärgegnern kam, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest (siehe auch unten).

Schröder war in seiner Rede bemüht, die Attentäter des 20. Juli zu würdigen, ohne ihnen eine singuläre Rolle im Widerstand des weitgehend deutsch besetzten Europa zuzuweisen. So erinnerte er an sozialdemokratische, konservative und christliche Oppositionelle im „Dritten Reich“ und ging mehrmals auf die Breite des Widerstands in diversen europäischen Ländern ein, namentlich in Holland, Polen und in Skandinavien. Insbesondere würdigte er den „Aufstand der polnischen Heimatarmee, der am 1. August 1944 begann“. Daher tue Europa heute gut daran, „diese beiden Daten, den 20. Juli und den 1. August“, zu ehren.

Im Streit um die langjährige Nähe mancher späterer Attentäter zu Hitlers Regime sagte Schröder, es habe unter ihnen auch „ehemalige überzeugte Nationalsozialisten“ gegeben, die sich dann allerdings zur Umkehr entschlossen. Dass „ein Sieg Hitlers den endgültigen moralischen Untergang Deutschlands bedeutet hätte“, sei im Offizierskorps „eine Minderheitenmeinung“ geblieben. Die Verschwörer des 20. Juli seien sich dagegen trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ausrichtung in einem Punkt einig gewesen: Sie kannten „einen Befehlshaber oberhalb des Staates und des Mannes an der Spitze – nämlich das eigene Gewissen“.

Ambivalent blieb der Kanzler in der Frage, ob mehr Deutsche zu dieser Einsicht fähig gewesen wären. Ein „breiter, patriotischer Widerstand, ein Volkswiderstand“ habe sich unter den Bedingungen des Totalitarismus nicht herausbilden „können“.