„Im Wettbewerb gescheitert“

Cap Anamur ist in der Krise, weil die Organisation ein Zwitter zwischen Anwalt und Hilfswerk ist, meint der Fundraiser Christoph Müllerleile

INTERVIEW DANIEL SCHULZ

taz: Warum ist die Hilfsorganisation Cap Anamur in eine solch tiefe Krise geraten?

Christoph Müllerleile: Etwas sehr Seltsames ist geschehen: Offenbar hat der neue Chef Elias Bierdel versucht, in die Fußstapfen des Gründers Rupert Neudeck zu treten. Er wollte das Gründungsereignis der Cap Anamur aus den 70ern kopieren: Damals wurden vietnamesische Boatpeople gerettet. Dabei ist klar, dass dieses Ereignis nicht noch einmal an einem anderen Ort wiederholt werden kann. Europa wollte damals die Vietnamesen aufnehmen. Es war auch klar, dass dies nur ein paar tausend sein würden. Bei den Afrikanern im Mittelmeer ist die Situation eine ganz andere und die europäische Meinung bestenfalls gespalten.

Deshalb fehlte es an Unterstützung?

Während der Rettung hat Cap Anamur eine große Presseoffensive gestartet, aber es kam nichts in die Zeitungen. Erst nach der Inhaftierung der Helfer wurde geschrieben. Aber damit ist Bierdel wohl eher berüchtigt geworden als berühmt.

Ist es falsch, dass Cap Anamur neben dem eigentlichen Ziel auch versucht hat, mit der Rettung auf sich aufmerksam zu machen?

Natürlich nicht. Die Public Relation von Hilfsorganisationen ist doch heute viel professioneller geworden. Vor zwanzig Jahren waren die Helfer noch mehr als unwillig, wenn ein Journalist in einem Krisengebiet auftauchte. Heute gibt es einen immer stärkeren Wettbewerb um Aufmerksamkeit zwischen vielen Nichtregierungsorganisationen. Jedes aufgestellte Zelt ist eine Pressemitteilung, jeder Brunnen ein Zeitungstext. In diesem Wettbewerb ist Cap Anamur vor Italien gescheitert, weil die Organisation ein künstlich konstruierter Zwitter ist.

Wie meinen Sie das?

Es gibt zwei Formen von Organisationen. Die advocacy organisations wie Greenpeace, die den Finger in die Wunde legen.Und dann gibt es die, die Wunden heilen und selbst etwas tun, um einen Zustand auch zu ändern. Das sind die eigentlichen Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz.

Und was verspricht sich Cap Anamur davon, beides zu kombinieren?

Für eine advocacy organisation, wie sie Cap Anamur jetzt zunehmend sein möchte, bedeutet die Aufmerksamkeit der Medien das Überleben. Für die Hilfsorganisationen, als die sich Cap Anamur bisher verstand, nicht. Denn die können konkrete Taten vorweisen und kommunizieren die auch mit ihrem festen Stamm von Unterstützern, beispielsweise per Mailingliste. Den advocacy organisations fehlt eine solche Legitimation gegenüber potenziellen Spendern. Deshalb gibt es in den vergangenen Jahren einen international immer härter geführten Kampf um Wahrnehmung und damit um Geld bei diesen Organisationen. Der wird noch dadurch verschärft, dass das Interesse der Medien mit jeder neuen Inszenierung geringer wird. Was wiederum zu immer radikaleren Versuchen führt, in die Medien zu kommen. Dagegen wird über Hilfsorganisationen öfter berichtet, eben weil sie Handlungen vorweisen können. Cap Anamur will auf beiden Seiten mitspielen und droht zu scheitern.

Weil die Inszenierung aufflog?

Ja, und weil sie nach hinten losging. Das ist für eine advocacy organisation fatal. Zugleich sind Cap Anamur so viele handwerkliche Fehler unterlaufen, dass ihre Reputation auch als Hilfsorganisation angeschlagen ist. Die Schiffsbesatzung hätte nicht alle Afrikaner als Sudanesen ausgeben sollen, obwohl das gar nicht sicher war. Der Kontakt mit den deutschen und den italienischen Behörden hätte schon im Vorfeld gesucht werden müssen. Cap Anamur hat sich durch die Rettungsaktion doppelt geschadet.

Wie groß ist dieser Schaden wirklich? Greenpeace lag mit der Besetzung der Brent Spar daneben, Peta hat Schlachtvieh mit Holocaust-Opfern verglichen. Beide gibt es noch.

Weder Greenpeace noch Peta sind Hilfswerke, das macht ihre Arbeit und eventuelle Fehler weniger problematisch. Von ihnen werden keine konkreten Ergebnisse erwartet. Das Feuerwerk, das diese Organisationen veranstalten, wird schnell wieder vergessen. Bei Hilfswerken ist das anders. 1994 hat die deutsche Sektion von Care international Ärzte für Ruanda massenweise rekrutiert. Dann flog der Chef von Care mit dem ersten Ärzteteam und vielen Journalisten nach Afrika. Dort hatte Care allerdings weder ausreichend Medikamente noch Kliniken vorbereitet. Die Kinder starben vor den Augen der Ärzte, die Journalisten waren live dabei. Dies hat Care Deutschland an den Rand des Zusammenbruchs getrieben.

Droht Cap Anamur das Gleiche?

Nicht wenn Rupert Neudeck seinen Nachfolgern hilft und sozusagen seine Reputation auf Cap Anamur überträgt. Seine Nachfolger sind Unbekannte und denen werden Fehler verziehen. Wenn es allerdings zum Bruch zwischen Neudeck und Cap Anamur kommt, steht die Organisation bei weitem schlechter da. Die brauchen Neudeck jetzt, auch wenn das einige bei Cap Anamur nicht wahrhaben wollen.

Neudeck hat sich von den Fehlern bei Cap Anamur aber schon distanziert. Und er hat sowohl innerhalb der Organisation als auch bei den Journalisten nicht nur Freunde.

Das ist richtig. Aber Neudeck ist bekannt und hat bei all seinen Eigenheiten einen Ruf. Nämlich den, wahrhaftig für bestimmte Ziele einzustehen und nicht korrumpierbar zu sein. Das erkennen auch seine Feinde an. Und genau das braucht Cap Anamur jetzt.