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Kraft durch Kalauer

Wolfsburg wird Golfsburg. Die sentimentalen Hintergründe einer Marketingaktion

Zur Einführung des neuen „Golf V“ am 25. August 2003 wird die Stadt umbenannt

Rolf Schnellecke gehört zur seltenen Randgruppe der virtuell Vertriebenen. Geboren wurde er am 12. September 1944 in der erst sechs Jahre zuvor gegründeten „Stadt des KdF-Wagens“, und so steht es auch heute noch in seinem Personalausweis. Leider verfügten die anglo-amerikanischen Nachkriegsbesatzer, dass der sinnlichste Ortsname des Dritten Reiches beseitigt werden müsse, und so einigte man sich 1945 darauf, der vom Albert-Speer-Protegé Peter Koller entworfenen VW-Werkssiedlung den Namen eines nahe gelegenen Renaissance-Schlosses zu geben: „Wolfsburg“.

Seitdem wird Rolf Schnellecke von einem Phantomschmerz geplagt. Man hat ihm seine Heimat genommen. Man hat seine Geburt in eine Niemandsstadt verlegt. Und das Schlimme daran ist: Keine Sau interessiert sich dafür. Kein Vertriebenenverein gibt ihm Stütze und Halt, keine „Landsmannschaft Kraft durch Freude“ bewahrt die Erinnerung an das namentlich untergegangene ostfälische Kübelwagen-Atlantis. Aber glücklicherweise hat es der mit VW-Aufträgen gut versorgte Großspediteur Schnellecke nebenbei noch zum Oberbürgermeister von Wolfsburg gebracht und kann nun endlich den historischen Fehler der Siegermächte korrigieren. Als Realist aber weiß er, dass man das Rad der Geschichte nicht einfach so zurückdrehen kann.

Die schlichte Renominierung Wolfsburgs in „Stadt des KdF-Wagens“ ist wegen der korinthenkackerischen Überempfindlichkeit gewisser gesellschaftlicher Gruppen politisch nicht durchsetzbar. Fast noch tragischer ist aber, dass die moderne, inhaltlich deckungsgleiche, nur umfassendere Alternative „Autostadt“ gleichfalls nicht zur Verfügung steht: Seit der Jahrtausendwende benutzt VW diese Bezeichnung ohne Rücksicht auf Schnelleckes Gefühle für ihre direkt neben dem Werk erbaute Mischung aus Neuwagen-Abholzentrum und kulturwichtigtuerischem Heidepark-Soltau. Also machte der OB sich auf die Suche nach einem ganz neuen Namen, der ihm das Gefühl der Heimatlosigkeit endlich nehmen sollte.

Nach langem Bregenwringen und der Konsultation ausgewiesener Namensfindungsexperten der Wolfsburger Nachrichten wurde er tatsächlich fündig. Und so konnte die ostniedersächsische Regionalpresse am 12. Juli 2003 endlich titeln: „Eine Stadt tauft sich um: Wolfsburg wird Golfsburg“. Zwar erschien die Meldung so monströs irre, dass viele ahnungslose Leser zunächst vermuteten, es handele sich dabei um einen zur provinziellen Sommerlochfüllung ersonnenen mild-satirischen Zeitungs-Fake, aber mit weiteren Presseberichten und einem offenen Brief auf der Homepage der Stadt Wolfsburg machte Schnellecke schnell klar, dass es ihm mit der Aktion bitterernst ist. Allerdings lässt er die Öffentlichkeit bis heute über die wahren Hintergründe und vor allem über die Endgültigkeit der Umbenennung im Unklaren.

Die offizielle Version ist folgende: Zur Einführung des neuen „Golf V“ am 25. August 2003 wird die Stadt Wolfsburg in einer pfiffigen Marketingaktion für sechs Wochen in Golfsburg umbenannt, alle „W“ auf den Ortseingangsschildern werden mit einem „G“ überklebt, alle Briefe der Verwaltung erhalten einen „Golfsburg“-Sonderstempel. „So dokumentieren wir den Schulterschluss zwischen Stadt und Volkswagen“, behauptet Schnellecke und ruft die Bevölkerung auf, selbst kreativ zu werden und eigene Vorschläge zur Unterstützung der Aktion einzubringen.

Unter www.golfsburg.org wurde eine Ideenbörse eingerichtet, in der die Bürger dann auch pflichtbewusst delirieren, den Mittelandkanal in „Golfstrom“ umzubenennen, vor der Wolfsburg eine „Golfsburg“ aus Schrottautos errichten zu lassen („ein Künstler findet sich bestimmt …“), einen Fastfood-„Golfsburger“ zu entwickeln, unter dem Motto „Mini-Golf“ ein Kinderfest mit „Golf(Hüpf)burg“ zu veranstalten oder das Märchen „Rotkäppchen und der Golf“ in Auftrag zu geben.

Sogar umliegende Gemeinden springen auf den entgleisenden Zug auf. So sagte der Gifhorner Bürgermeister Manfred Birth laut Braunschweiger Zeitung vom 15. Juli 2003 zu, angesichts der vielen VW-Zulieferer in seiner Stadt die Umbenennung in „Golfhorn“ prüfen zu lassen. Diese keinerlei Peinlichkeitsgrenzen kennende Anbiederung an den Konzern zeigt, dass Schnelleckes Plan, die Menschen durch permanente Propaganda in den Hirnsturz zu treiben, voll und ganz aufgegangen ist. Und so wird er wohl am 10. Oktober 2003, nach Ablauf der sechswöchigen Marketingaktion, gefahrlos und ohne mit Widerstand rechnen zu müssen, verkünden können, worum es ihm eigentlich geht: „Golfsburg“ bleibt „Golfsburg“, und der ungeliebte Besatzername landet auf dem Komposthaufen der Geschichte. Wie „Karl-Marx-Stadt“ und „Leningrad“. Und Rolf „Golf“ Schnellecke wird nach 58 Jahren im Exil endlich heimkehren. Sein Lebenswerk wird vollbracht sein: Eine ganze Region – Achtung: letzter Kalauer vor der Autobahn! – heult mit den Gölfen …

HARTMUT EL KURDI

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