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: Warum Ossis rechtradikal sind

„Bernau liegt am Meer“ (Sa., Arte, 23.50 Uhr)

Neger klatschen, Zecken jagen, Judenfriedhöfe schänden – die Liste rechtsradikaler Übergriffe in Deutschland ist lang. Wie kommen junge Menschen auf solche fiesen Ideen? Warum besonders die Jugendlichen im Osten? Warum der 21-jährige Daniel aus Bernau bei Berlin?

Anhand dreier Protagonisten versucht der Film ein Rätsel zu knacken, für das es offenbar keine Lösung gibt. Der junge Rechte Daniel ist noch einer von der harmlosen Sorte. Bisher hatte er nur wegen Sachbeschädigung Ärger mit dem Gesetz. Ein indisches Restaurant platt gemacht und mit der Schreckschusspistole rumgeballert.

Jugendrichter Andreas Müller gibt ihm eine Bewährungsstrafe, weil er weiß: Daniel ist Mitläufer. Auch die Sozialarbeiterin Rosemarie Kalas steht auf Daniels Seite. Mit einer Alkohol- und Psychotherapie habe er doch guten Willen gezeigt.

Das soziale Zusammenspiel von Daniel, Richter Müller und Streetworkerin Kalas macht klar, wie unlösbar das Problem scheint. Weil einem Daniel im Laufe des Films fast symphatisch wird, werden seine dumpfen Ausfälle immer unerträglicher. Und genau das hat einen überraschenden Effekt: Der Zuschauer kapiert: Die sind brutal, die sind dumm, aber die gehören zu uns. Kurz: Das ist auch unser Problem. Bernau, Brandenburg, der Osten geht uns alle immer noch was an.

Man bewundert Richter Müller und die anderen Bernauer, wie sich immer wieder um die Jugendlichen bemühen. Zu diskutieren versuchen: Nein, man haut Menschen nicht die Köpfe ein. Nein, die Russen haben den Krieg nicht angefangen. Nein, in der DDR war nicht alles besser. Argumente treffen auf dummdreiste Propaganda. So wie die Jugendlichen den Holocaust leugnen, könnt man auch glatt behaupten Bernau läge am Meer. Dem Zuschauer wird schlecht, und man kann den Richter verstehen, der seine Kollegen im Westen beneidet, die es nur mit Autoknackern zu tun haben. Doch weggucken hilft nicht. Es gibt keinen Grund Menschen zu verletzen. Bernau liegt nicht am Meer.

Umso trauriger, dass es der Film nicht von der Berlinale in die Kinos geschafft hat – und nun auch bei Arte viel zu spät versendet wird. SILVIA HELBIG