Der feinere Stoff

Zukunft der Arbeit (Teil 11): Nach Knochenjobs und trister Kulturproduktion wünscht man sich einen Beruf zum Genießen. Manchmal klappt das sogar

Gibt es eine Zukunft der Arbeit? Muss es überhaupt eine Zukunft der Arbeit geben? Und was bedeutet Arbeit eigentlich? Die nächste Folge unserer Serie zum Thema handelt von der emotionalen Erweiterung des Arbeitsbegriffs

von HOLGER IN’T VELD

Wann hat man es eigentlich geschafft? Mit der ersten Million? Der Mobilnummer von Robbie Williams? Wenn die Kinder aus dem Haus sind, Rente und Krankenhaustagegeld sicher und nichts außer dem eigenen Protestantismus den Panoramablick auf toskanische Weinberge (oder die Karibik, den Golf von Bengalen) verstellt? Oder wenn man mindestens einmal pro Tag in der vorausnickenden Annahme einer bejahenden Antwort gefragt wird, ob das, was man gerade macht, der eigene Kindheitstraum gewesen sei?

Wenn es Letzteres ist, habe ich es geschafft. Dabei war Schokoladenladenbesitzer, soweit ich mich erinnern kann, nie mein Kindertraum. Eine Zeit lang wollte ich Pilot werden, zum einen, weil es tantige Fragen schnell befriedigt, zum anderen, weil mein Vater Kapitän war und mir diese Fahrten nun wirklich zu lange dauerten. Dann habe ich mich erst mal an was Handfestes gehalten. Grönemeyers „Bochum“ hing noch in der Luft, als ich 86 meinen ersten Job antrat, in der Kokerei der früheren Hermann-Göring- und jetzigen Salzgitter-Werke.

Die Arbeit bestand darin, in der kurzen Zeit, in der die Öfen zur Entladung des brennenden Kokses geöffnet wurden, mit einem Stahlschaber die Kontaktstellen zwischen Ofentür und Rahmen sauber zu kratzen, während um einen herum glühende Graphitstückchen herabrieselten. Nach der Schicht wurden mit den anderen, größtenteils hierher strafversetzten Kumpeln zentimeterlange schwarze Fladen in die Gemeinschaftsdusche gerotzt. Dann stieg ich in den geliehenen Käfer und fuhr durch eine zischende und rauchende Welt aus Kühltürmen, riesigen Werkshallen und vereinzelten Wurstbuden ins elterliche Reihenhaus. Das war noch handgemachte Musik, ein industrieromantischer Adventure-Urlaub in Albumlänge. Als es dann aber ernst wurde, kam von Herbert nur ein „Ö“.

Studienfächer wie Japanologie und Volkswirtschaft verbanden sich denn auch nicht nur mit Eskapismus und Selbstdisziplinierung, sondern auch mit der Vorstellung der internationalen Diplomatie als einer Welt breiter Treppen und vielsprachig parlierender James-Bond-Existenzen. Vielleicht war es Faulheit, vielleicht erwachendes politisches Bewusstsein, das auch diesen Film dialektisch aus dem Takt brachte. Plötzlich war man jenseits von allem, allein mit Ironie und Kommentar ausgerüstet und dem erwachenden Wissen, dass das in der Medienwelt eine Währung ist.

Die dazugehörige, an dieser Stelle zur Genüge beschriebene Kaste ist das „Kognitariat“, getragen vom kaum mehr denn durch Minderbezahlung begründeten Wirgefühl des Widerständlers und vorangetrieben von dem kleinen, immer mal wieder Teilerfolge feiernden Traum, dass die Wahl von Worten und Themen, der kleine Spott und der noch kleinere Boykott zu einer Veränderung kultureller, wenn nicht gar gesellschaftlicher Verhältnisse beitragen könnte. Journalismus, seit Ewigkeiten das Berufsziel Nummer eins, ist eine Tätigkeit, gegen die im Prinzip nichts zu sagen ist. Nur wird sie, gerade im Bereich der Kultur und des Kommentars, von zu vielen Menschen ausgeübt, denen dazu Neugier wie Begabung fehlen, was sie erst recht, wie Max Goldt in seiner Polemik gegen den Journalistenstand schreibt, zu „kenntnisloser Bissigkeit“ und „selbstbewusst tönendem Kläffton“ verleitet: „Unter ihrem Wissen, dass sie letztendlich doch nur das Altpapier von übermorgen produzieren, heimlich leidend, zerren sie alles, was eventuell ein wenig herausragt, auf ihre eigene Durchschnittlichkeit herunter. Worüber sich letztlich nur Physiotherapeuten freuen.“

Als sich das allgemeine Gezerre für mich im Verdacht auf Bandscheibenvorfall manifestierte, war endgültig der Moment gekommen, zurückzutreten und auf die Musik zu hören. Die wies schon länger in andere Teile der Welt, atmete andere Luft, getaktet nicht in elektronischer Marschmusik, sondern im sanften Offbeat des Dub. Ziemlich genau zu dieser Zeit kam dann auch der deutsche Herbert aus dem Schmerzenskeller herauf und sprach im erstaunlichen Einvernehmen mit Goldt, der Zigarettenwerbung, dem Reggae und meinem Rücken: „Mensch“, sagten die Stimmen, „lass es sein. Entkopple dich vom Interface, beschäftige dich mit sinnlichen Dingen statt mit Zielgruppen, Meinungen und Hypertext, umgib dich mit warmen Farben und klaren Formen statt Neon, Metall und Biedermeierplastik, werde lieber Händler statt Theoretiker, Reiseleiter statt Blockwart.“

Ist das nun der neue deutsche Mainstream? Dann ist das für mich in Ordnung, da ich mir einen hübschen Ort geschaffen habe, umgeben von lauter veredelten Genüssen aus äquatorialen Gebieten: in einem Schokoladenladen.

Dabei hat sich oberflächlich nicht viel verändert. Ich bin immer noch Promoter, Systemadministrator, Werbetexter und Content-Manager, nur dass ich dabei einen Content manage, an dem nichts falsch ist und der im bestmöglichen Fall sogar noch die Lebenssituation von Menschen in der Dritten Welt verbessert. Wie unlängst selbst im Spiegel nachzulesen war, stimuliert Schokolade jene Bereiche des Hirns, die sonst nur Sex und Musik erreichen. Was also tut ein Schokoladenhändler, nachdem er den feinsten Stoff zusammengesammelt hat? Das Licht dimmen, die richtige Musik auflegen und schon mal was zum Antörnen bereitlegen. Eine Tätigkeit, die weder gelegentliche Fragen wie: „Ist das jetzt der neue Trend?“, oder: „Wie kommt man denn auf so was?“, noch doppelte Buchführung, Existenznöte, Vollzeittage und endlose Überzeugungsarbeit korrumpieren können, ja noch nicht einmal die Tatsache, dass im Alltag das Wunder meiner Drogen immer mal wieder verschwindet und es Momente gibt, wo mir ihre Sensibilität gegenüber Klima und Verfall so an den Nerven zehrt, dass ich mir fast wünsche, stattdessen Handytöne oder Nasenepiliergeräte zu verkaufen. Wenn der Rhythmus stimmt, ist das nur Noise, Geräusch, das die Musik belebt.