Von Dur bis Moll

Das Essener GOP ist eine Institution in der hiesigen Varieté-Szene. Das aktuelle Programm pendelt zwischen Heiterkeit und Melancholie

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Der Saal des Essener GOP ist ein dämmriger, hoher Raum, in dem die Farbe Rot dominiert. Ein Rot, wie es sonst nur auf dem Kiez zu finden ist, in schummrigen Etablissements mit Tischtelefon. Eine Bagger-Bar ist das GOP allerdings nicht. Das GOP ist, das kann man getrost so sagen, eine echte Institution in der hiesigen Varieté-Szene. Vom Portal bis zum Saal, hier ist alles aus einem Guss: die Andenken-Galerie, die Devotionalien, die feudalen Gemälde. Und die üppigen, von Stoff umwallten Kronleuchter, die zur Decke fahren, sobald die Show beginnt.

GOP steht für Georgspalast. In dem Hannoveraner Gebäude wurde einst das GOP-Haupthaus gegründet, lange bevor sich der Essener Ableger im Jahr 1996 bildete. Seither gedeiht dieser das ganze Jahr über, denn das GOP zählt zu den wenigen Varietés, die im Sommer nicht pausieren. Unermüdlich scheint hier der Drang, allzeit einen perfekten Abend zu kredenzen – sowohl künstlerisch als auch kulinarisch, wie die Speisekarte belegt.

Die Stimmung der aktuellen Show pendelt dazu stetig zwischen Dur und Moll, zwischen Heiterkeit und Melancholie. „Sunsation“ ist eine nie übermäßig laute oder bunte Show. Sie ist eher recht düster und beeindruckend. Das Gefühl, das einen dabei besteigt, ist vergleichbar mit jenem bei der Betrachtung eines Gemäldes: Nach einer Weile ist das, was die Netzhaut da berührt, sehr vertraut – die Landschaft oder die Menschen, die uns der Künstler präsentiert. Bei näherem Hinsehen aber fallen einem immer wieder neue Details ins Auge. Augenblick für Augenblick wird man überrascht.

„Sunsation“ ist ein solches Gemälde. Das heißt: Vielmehr ist „Sunsation“ ein Gesamtkunstwerk aus sorgsam arrangierten Einzelbildern, die vom Rizoma-Ballett zu einem harmonischen Ganzen zusammen gefügt werden. Die Tänzerinnen sorgen für ständige Bewegung im intelligenten, über zwei Etagen gebauten Bühnenbild. Während sie oben gerade schweben, begeben sich unten Egorov und Hoy auf das Schlappseil, laufen oder stehen darauf, liegen oder schaukeln darin wie in einer Hängematte – mit verbundenen Augen natürlich. Ohne machen es nur Anfänger. Und die haben im GOP nichts zu suchen. Zwar wurde hier etlichen jungen Künstler der Weg nach oben geebnet. Blutige Beginner aber kommen gar nicht erst auf die Bühne. Sonst wären Oleksandr und Vyacheslav Iroshnikov wohl auch längst die Hälse gebrochen, macht doch der eine gerne mal einen Handstand auf des anderen Kopf – was dann im wahrsten Sinne waghalsig ist.

Die Kombination von Varieté-typischen Elementen, von Tanz, Komik und Akrobatik, gelingt bei der „Sunsation“ besonders gut. Naja, das Vertikaltuch ist vielleicht einen Hauch zu lyrisch, und Kontorsionisten sind ja ohnehin sonderbar – aber sonst: Ein spannender Abend, der mit einer einmaligen Plastiktüten-Jonglage endet und zu dessen Beginn eine Stimme gefordert hatte: „Vergessen Sie alles, was sie über Varieté wissen!“ Schon passiert.

„Sunsation“ im GOP, Essenbis 22. August 2004Infos: 0201-247993