Voliere unter den Käfigen

Vor 18 Jahren eröffnete mit dem Birdland Hamburgs erster Club für modernen Jazz. Seitdem brütet der Eigentümer Dieter Reichert neue Generationen von Musikern und Zuhörern aus

von LENA ULLRICH

Seinen letzten großen Auftritt hatte Charlie „Bird“ Parker in dem nach ihm benannten Jazzclub „Birdland“ in Midtown Manhattan. In rasanter Geschwindigkeit entlockte der Vogel aus Kansas noch einmal dem Altsaxophon jene virtuosen Akkordfolgen, die ihm seinen Namen eingetragen hatten. Eine Woche darauf starb Charlie Parker, so heißt es, an den Folgen von exzessivem Drogen- und Alkoholgenuss. Symbolträchtig: In der verrauchten Luft des Birdland verendeten auch die vielen exotischen Käfigvögel.

Dem Club blieben noch zehn weitere Jahre, in denen sich dort der Jazz der Nachkriegszeit in all seinen Facetten entfaltete. Als Vertreter des traditionellen Jazz brachte der Pianist Count Basie die Swingnummer „Lullaby of Birdland“ auf die Bühne. Art Blakey, Master der Cool School, manifestierte mit seiner Aufnahme A Night at Birdland den Hard Bop. Und 1963 spätestens hielt mit John Coltrane Live at Birdland der Free Jazz Einzug in dem Club in Manhattan.

Im Jahr 1965 legte der Rock‘n‘Roll ein großes schwarzes Tuch über den Vogelkäfig im Westen der 52nd Street. 20 Jahre lang träumten darunter die Jazzer von den beschwingten alten Zeiten. Bis Inhaber John Valenti das Birdland 1986 in Uptown Manhattan neu eröffnete und sie dort wieder einflogen.

Rund ein Jahr zuvor hatte in Hamburg der Architekt und Freizeit-Saxophonist Dieter Reichert für sein eigenes Birdland Richtfest gefeiert. Der Club entwickelte sich schnell zu einer Voliere gegenüber Hamburgs Oldtime-Jazzkäfigen wie dem Cotton Club und dem Jazz Forum, heute Jazz Club Bergedorf. Bisher hatten die Anhänger des Senioren-Swing noch jedem Avantgardisten die Flügel gestutzt. Im Cotton Club hängt bis heute ein Schild mit der Aufschrift „Wo der Jazz noch Jazz ist“. Wohlgemerkt: Jazz akzentfrei ausgesprochen, mit „a“ und „tz“.

Im Birdland dagegen begeistern Musiker mit der Imitation nicht einheimischer Vogelstimmen wie des Bebop, der Stimme des unvergessenen Charlie „Bird“ Parker, ein junges Publikum. Hamburgs erste Adresse für modernen Jazz wurde so auch unter den US-amerikanischen Jazzern genannt. Kaum ein Jahr nach der Eröffnung fanden schon Stars wie Art Blakey über die steinigen Stufen im Hinterhof der Gärtnerstraße 122 Zugang in den Club. Dort empfingen den Schlagwerker die Porträts vieler einflussreicher Musiker, eingefangen in Acryl auf 50 mal 70 Zentimetern Kartonpapier von Dieter Reicherts Frau Heidi. Art Blakey hat sein Porträt mit den Worten signiert: „To Heidi. Kiss me, I love you.“

Nicht alle Musiker, die jede Woche von Mittwoch bis Samstag die Bühne im Birdland bevölkern, haben sich schon einen Namen gemacht. „Mit 150 Eintritten können wir uns die Giganten nicht mehr leisten“, sagt Dieter Reichert. „Wir haben uns aber auch auf die Fahne geschrieben, junge Musiker zu fördern.“ Auf der Session, die jeden Donnerstag stattfindet, schwingen sich vor allem Studenten der Musikhochschule in höhere Gefilde empor. Die Musiker der Opener-Band verdienen an einem Abend zusammen 200 Euro. Mit gebührendem Abstand um die dreieckige Bühne ist der Club schnell bis in den hintersten Winkel gefüllt. Teils mit mitgebrachten Instrumenten auf den Knien, sitzen die Zuhörer ab 21 Uhr auf Bänken und an Tischen entlang der holzvertäfelten Wand. Wenn die Opener-Band ein Set gespielt hat, drücken die ersten ihre Zigaretten aus, und nehmen einen Platz auf der Bühne ein. In die Musik mischen sich Stühlerücken, Wortfetzen und Gelächter: Die Live-Performance der Musiker kostet am Donnerstag im Birdland keinen Cent und wird wohl deshalb von einigen als Tischmusik herabgewürdigt.

Das Konzept machte dennoch Schule: Zahlreiche jüngere, teils neu eröffnete Clubs wie zum Beispiel das Soular und der Waagenbau, beide nahe der Sternbrücke in Altona, veranstalten wöchentliche Jazz-Sessions. Entgegen dem sortenreinen Programm im Birdland beherbergen ihre Bühnen an anderen Tagen auch Stilrichtungen wie Reggae, Rock und Afro-Brasilianisches. Zu den Sessions kommen häufig Freizeit-Musiker und bringen andere musikalische Formen ein.

„Ich muss ganz unbescheiden sagen: Die haben die Session von uns abgeguckt“, sagt Dieter Reichert. Bereits seit einem Jahr nach der Eröffnung gibt es im Birdland immer am Donnerstag eine Session. Übrigens: Auch einige der alten Jazz-Käfige veranstalten regelmäßig Sessions, um ein junges Publikum für diese närrische, ernsthafte Musik zu gewinnen.