Übergewicht der Klangkunst

Conceptualisms – dem Streifzug der Akademie der Künste durch die Ideenkunst fehlt es nicht an gelungenen Exponaten. Die Ausstellung versäumt es freilich, ihre Grundlagen zu erhellen, und erweist sich so als affirmative Bestandsaufnahme

von BJÖRN GOTTSTEIN

Jeder Museumsbesucher kennt die Situation. Man hat den Blick auf Wahrheit, Meisterwerk und hehre Kunst geeicht. Die Augen schweifen kennerhaft suchend durch den Saal und treffen auf eine schlichte, fast entrückte Arbeit: wenige schwarze Buchstaben auf weißem Grund. Auf den zweiten Blick erweist sich das Stück als eine Hinweistafel der Museumsleitung: „Rauchen verboten“ oder „In case of fire take the stairs“. Für einen Augenblick rückt das Beiläufige in den Mittelpunkt, wird Alltag zur Kunst. Wenn Angela Bulloch nun ihren Namen neben eine solche Gebotstafel hängt und dem schmucklosen Regelwerk den Titel „Rule Book“ verleiht, erhebt sie diesen Augenblick zur zeitlosen Währung der Kunst.

Natürlich leidet Bullochs Stück schwer unter der Nonchalance, mit der sie das Museumsgetriebe selbst zur Kunst erhöht. Aber ihr Schachzug gehört zu den beliebtesten Strategien eines ganzen Genres. „Entlarve via Kontext“ heißt die Direktive, mit der Konzeptkünstler Institutionen und Gemeinplätze seit nunmehr fast hundert Jahren aufmischen.

Die freche Verweigerungshaltung der Konzeptkünstler ist heute längst selbstverständlich, der revolutionäre Gestus des Genres mithin verblasst. Und wenn die Akademie der Künste der Konzeptkunst unter dem ein wenig großspurigen Titel „conceptualisms“ eine Ausstellung widmet, bleiben Empörungsschreie entrüsteter Besucher leider aus. Stattdessen lassen die achtzehn Exponate jüngeren Datums wissen, dass und wie sich das Genre in den vergangenen Jahren beständig aktualisiert und verfeinert hat.

Die Videoarbeit „Terminal“ von Tim White-Sobieski zum Beispiel zeigt elegant verquecksilberte Landschaften, die in entspannter Fahrt an einem vorbeiperlen und die mit kühler Musik von Brian Eno unterlegt sind. White-Sobieskis liebevoll gearbeiteter und technisch durchpolierter Film gehört zu den sehenswertesten Stücken der Ausstellung. Aber mit einem Begriff wie Konzept ist sie kaum mehr zu fassen. Und mit dem spröden Humor, mit dem Marcel Duchamp 1917 sein Urinal zur Ausstellung einreichte, hat sie nichts zu tun.

Es gehörte ursprünglich zum Wesen der Konzeptkunst, dass die Idee zum Werk herauf- und seine handwerkliche Ausarbeitung, die Faktur, zur Nebensache herabgestimmt wird. Das traditionelle Handwerk muss und soll sich dem Einfall, der als das eigentliche Werk gilt, beugen. John Cage hätte, nachdem ihm die Idee zu seinem stillen Stück „4’33“ gekommen war, diese nicht in einer meterschwere Orchesterpartitur im strengen Kontrapunkt ausarbeiten können. (Das gilt auch, wenn man weiß, dass Cage tatsächlich monatelang an diesem Stück und den Proportionen der drei „Tacet“-Sätze gefeilt hat.)

Aber der entschiedene Verzicht auf Handwerk und Fleiß, der das Genre jahrzehntelang als charmanten Bürgerschreck auszeichnete, galt offenbar nur für besonders kunstemphatische Praxen, wie das Öl auf der Leinwand. Zu jungen Technologien und Medien, die noch nicht mit dem Habitus des Meisterwerks belastet sind, hatte man hingegen freien Zugang. Deshalb wohl leiden das Material und seine Behandlung heute gelegentlich unter einem Hang zur High-Tech-Lösung. Unter drei Kabelmeilen, zwei satt schnurrenden Computern und einer Hand voll verwegen versteckter Lautsprecher ist heute keine ernst zu nehmende Arbeit mehr zu haben.

Natürlich gibt es auch Stücke von schlichter Statur. Rolf Julius zum Beispiel hat eine Wand mit ausgefransten Farbpunkten versehen. „Schwarz, Gelb“ ist eine Komposition für Ensemble, bei der die Interpreten ihren Synästhesien freien Lauf lassen. Das Schöne daran ist, dass die Partitur auch ohne Ensemble funktioniert und der Betrachter sich seinen eigenen schwarz-gelben Ensembleklang zurecht hören kann. In anderen Fällen bleibt ein flaues Gefühl der Enttäuschung hingegen nicht aus. Peter Ablinger hat sechsunddreißig weiße Plastikstühle mit dem Hinweis „Sitzen und Hören“ versehen. Das abgestandene Konzept und die gelangweilte Gleichgültigkeit, mit der es präsentiert wird, kann etwas anderes als Desinteresse und Ennui nicht wecken.

Die meisten Künstler entgehen dieser Falle, indem sie ihr Stück mit einer Pointe versehen. Sam Auinger hält den Wahrnehmungspädagogen dieser Welt entgegen, dass es akustische Bereiche gibt, für die man vielleicht gar nicht sensibilisiert werden möchte. Arnold Dreyblatt arbeitet mit einem wissenschaftlichen Text, der erläutert, wie Blitzlichter sich in das Gedächtnis fräsen, und mit einem monströsen Blitz, der wissen lässt, dass man dieses Kunstwerk wohl nie vergessen können wird. Und Robert Jacobsens Soundscape verwandelt den vertrockneten Tümpel im Innenhof der Ausstellung in einen Erholungsparcours mit Freibad-Ambiente.

Ausführlichere Arbeiten sind hingegen selten. Johannes S. Sistermanns pittoresker Pavillon konfrontiert die hehre Tradition der japanischen Teezeremonie mit der fortschrittsseligen Automatenkultur, bei der grüner Tee in Blechbüchsen gereicht wird. Der verführerische Soundtrack mit seinen schabenden Metallklängen gehört zu den wenigen durchkomponierten Momenten der Ausstellung, der die Aufmerksamkeit des Besuchers länger als die übliche Minutenweile in Anspruch nimmt.

An gelungenen Exponaten mangelt es der Ausstellung also nicht. Aber sie versäumt es, die Grundsätze des Genres insgesamt zu erhellen. Die lange Geschichte der Konzeptkunst wird mit zwei CD-Spielern und einer - immerhin klugen Auswahl musikalischer Konzepte abgehandelt. Aber Fragen nach dem Ursprung und der Legitimität dieser Kunstform werden gar nicht erst gestellt. Zwar ist zur Ausstellung ein bleisatter Katalog erschienen. Über eine rein affirmative Bestandsaufnahme gelangen aber auch die hier versammelten Texte nicht hinaus. Hinzu kommt, dass die Ausstellung von einem Musikwissenschaftler kuratiert wurde, wodurch ein die Perspektive doch verzerrendes Übergewicht der Klangkunst entsteht.

Bis 14. September, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Di.–So. 11 bis 20 Uhr